„No Men’s Land“ von Edward Clug. Tanz: Brent Parolin, Constantine Allen, Roman Novitzky und Ensemble

„No Men’s Land“ von Edward Clug. Tanz: Brent Parolin, Constantine Allen, Roman Novitzky und Ensemble

Wer macht die dicksten Arme?

Zwei Uraufführungen in Stuttgart: Edward Clug mit „No men’s land“ und „Aftermath" von Demis Volpi

Nachdenklich, schlau und frech: der neue Stuttgarter Ballettabend „Fahrende Gesellen“

Stuttgart, 20/04/2014

Der Titel des neuen Stuttgarter Ballettabends nimmt Bezug auf einen Klassiker: Maurice Béjarts Pas de Deux zu Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Zwei Männer auf der Suche nach dem Glück in Sehnsucht, Verzweiflung, Hoffnung – das choreografische Sahnestückchen von 1971 (in Stuttgart schon ab 1976 im Repertoire und nach zwanzig Jahren Pause wieder im Programm) bietet Traumrollen für Tänzer, dieses Mal hochrangig eingelöst von Jason Reilly und Evan McKie. So weit erfüllt der Tanzabend im Opernhaus hochrangige Erwartungen jenseits aller Überraschungen – die blieben für die beiden Uraufführungen des Abends reserviert. Das gilt nicht nur für die Choreografien, sondern auch für die Musik – zwei anspruchsvolle Auftragskompositionen in großer Orchesterbesetzung (mit Solo-Cello zum einen und ganz viel Bläsern zu anderen) wurden von James Tuggle am Pult mit Bravour gemeistert.

Den starken Auftakt machte Edward Clug mit „No men’s land“. Der Ballettdirektor von Maribor hat sich in Stuttgart schon mehrfach als Senkrechtstarter empfohlen – aber so unbekümmert frech und überraschend schlau wie in seinem neuen Stück – nur für Männer! – ging es dabei auf der Bühne noch nie zu. Zu einer sensationellen Auftragskomposition von Mirko Lazar, einer 35-minütigen Suite für Cello und Orchester, ging er ganz unbeirrt der Frage nach, was Männer in Schützengräben und an die Wall Street, zu einsamen Höhenflügen, tiefer Sehnsucht und in unerbittliche Konkurrenz treibt. Dafür entwickelte er ein eindrucksvoll stilisiertes Bewegungsvokabular unter der Prämisse „weniger ist mehr“. Diese Devise zählte auch für die schlichte, schwarze Bühne und die Kostüme von Thomas Minka: Kniestrümpfe über Jogginghosen zum blanken Waschbrettbauch – eine lässige Mixtur aus Kniebundhose, Uniform und Freizeitlook. Anfangs lässt Edward Clug seine 21 (!) Tänzer synchron auftreten, und auf der Stelle ist die geballte Macht des Marschierens präsent. Später löst sich ein Einzelner (Brent Parolin) aus der Masse, und am Ende formieren sich zehn Paare zum finalen Zweikampf: Der wird durchaus mit unfairen Mitteln ausgetragen – in den Schritt treten und zwangsweise die Hose runterlassen – bevor die Frage nach der tieferen Ursache für so viel Konkurrenz augenfällig aufgelöst wird. Es geht wieder einmal darum, wer die dicksten Arme machen kann; nur gehören diese Arme zum unterlegenen Gegner und werden mit geballter Faust zwischen den Beinen des Siegers nach oben gestreckt – Erektion pur. Es durfte also, tatsächlich, gelacht werden in Stuttgarts heiligen Balletthallen, auch wenn das Premierenpublikum lieber vom Beifall Gebrauch machte.

Die Damen des Ensembles auf die Bühne zu bringen, war dem Hauschoreografen Demis Volpi vorbehalten, der spätestens seit seiner mit dem „Tanzpreis Zukunft“ ausgezeichneten „Krabat“-Version als sichere Bank für die choreografische Zukunft in Stuttgart gilt. Auch er traute sich was, allerdings etwas höchst Ernsthaftes: ein Ballett („Aftermath“) über das Verstummen der Kunst. Dazu wird die Solistin Hyo-Jung Kan als jugendlicher Farbtupfer von einer uniformen grauen Masse von 24 Tänzerinnen am Ende regelrecht verschluckt. Auch die Musik von Michael Gordon, die nach einem ohrenbetäubenden Beginn kunstvoll zerfällt, verstummt am Ende; nur noch das Stakkato unsichtbarer Spitzenschuhe hallt noch lange nach.
 

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