Karikieren für die Kamera

Beeindruckendes Zeitdokument: „Valeska Gert Tanz Fotografien“

In der Tanzgeschichte lebt sie fort als eine Art konterfeite Chiffre. Wer Valeska Gerts so überaus plastische Fotografien kennt, vergisst sie nicht mehr. Sie selbst sah sich gern als Gegenpol Mary Wigmans, gleichsam - historisch unterschlagene - Mitbegründerin des deutschen Ausdruckstanzes.

In der Tanzgeschichte lebt sie fort als eine Art konterfeite Chiffre. Wer Valeska Gerts so überaus plastische Fotografien kennt, vergisst sie nicht mehr. Sie selbst sah sich gern als Gegenpol Mary Wigmans, gleichsam – historisch unterschlagene - Mitbegründerin des deutschen Ausdruckstanzes. Was die eine aus den dunklen Tiefen ihres Empfindens zutage förderte, schaute die andere den Menschen ihrer Zeit ab, brachte es in kurzen, denkwürdigen Miniaturen auf die Bühne, überhöht, zur Groteske verzerrt, mit wenigen tänzerischen Strichen aufs Wesentliche reduziert.

Valeska Gert tanzte unnachahmlich den Zeitgeist der Weimarer Republik, ihre hehren und düsteren Gestalten, beißend die Noblen, spöttisch, bisweilen auch mitfühlend die Niederen: Kupplerin und Canaille, Szenen aus Zirkus, Varieté, Kino und Sport, Skurriles wie „Gruß aus dem Mumienkeller“, beklemmend Grandioses wie „Tod“. Das tat die 1892 geborene, in Tanz und Schauspiel geschulte Fabrikantentochter an Berliner Theatern, dann in weiteren deutschen und europäischen Städten, errang Erfolge, bis sie, die Jüdin, nach 1933 Berufsverbot erhielt, über England in die USA emigrierte, wo sie sich ebenso mit Kabarett-Gründungen über Wasser hielt wie nach der Heimkehr 1947, mit Zürich, Berlin, schließlich Sylt als Stationen. Dort starb sie 1978, hatte in Filmen von Fellini und Schlöndorff mitgewirkt, ohne an ihren Vorkriegsruhm anknüpfen zu können.

Was heute von ihr geblieben ist und immer wieder zu Forschung und Auseinandersetzung anregt, sind die zahlreich in Ateliers geschossenen Fotos, die zugleich spezielle Inszenierungen vor der Kamera und für ein zukünftig betrachtendes Publikum sind. „Valeska Gert Tanz Fotografien“ heißt der zweite Band aus der Schriftenreihe der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Uni Köln, der in handlich fastquadratischem Format und 87 Fotos das künstlerische Erbe der bedeutenden Aktrice zwischen Tanz, Pantomime und Charakterskizze aufzeigt. Treffend wie grafische Skizzen ist in der Tat, was renommierte Fotografen jener Ära fixiert haben. Allein mit prägnanter Körpergestik macht Gert das Wesen ihrer Figuren sichtbar, verständlich auch all denen, die ihre Vorstellungen nicht gesehen haben. Mit ihren Parodien voller Lust am Typisieren wird sie zum Bürgerschreck, gibt dem Gelächter preis, was ihr kritisierenswert erscheint, bricht eine Lanze auch für Randfiguren der Gesellschaft, Dirne oder Clown. Wie viele „Gesichter“ ihr Körper hat, das verblüfft und beeindruckt beim Durchblättern des Bands, dem neben anderen Autoren auch Herausgeberin Hedwig Müller einen erläuternden Essay beigegeben hat. Wer wissen möchte, welche Farbe der Tanz der Moderne auch hatte, kommt mit dieser schmalen, doch sehr gehaltvollen Publikation auf seine Kosten.

Hrsg. Hedwig Müller: „Valeska Gert Tanz Fotografien“, Wienand Verlag Köln, 2014, 72 S., 87 Abb., ISBN 978-3-86832-194-4

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