Bilderbogen um Leben und Werk

In Schwerin lässt Lode Devos „MOZART! maybe?“ teils biografisch tanzen

Da stoppt die Ouvertüre zur „Entführung aus dem Serail“, Mozart wirft das Leichentuch ab und verkündet aus Frank Sinatras Mund, er werde leben, bis er sterbe.

Schwerin, 14/02/2014

Auch 223 Jahre nach seinem frühen Tod gilt: Mozart Superstar. Seine genuin tänzerische Musik hat sich besonders das Ballett erobert. Davon macht Schwerin keine Ausnahme. Gastchoreograf Lode Devos geht seine Reverenz an den großen Komponisten indes vorsichtig an. „MOZART! maybe?“ zollt bereits in den Versalien des Namens dem Genius Respekt, fragt im Nachwort jedoch etwas unschlüssig „vielleicht?“. Diese Zurücknahme mag sich auf die Herangehensweise seiner choreografischen Annäherung beziehen. Denn eine getanzte Biografie sollte es, so Devos, nicht sein, auch nicht die Ausdeutung eines in sich geschlossenen Werkes. Der Choreograf kombinierte deshalb beide Wege zur Mischform aus biografischer Notiz in Verbindung mit Themen und Figuren aus zumeist Opern. Das E-Werk erweist sich als geeigneter, weil den Zuschauer durch seine Nähe zur Szene gut erreichender Spielort für diese Spurensuche.

Sie beginnt mit dem toten Meister auf einem Katafalk, den reale und erdichtete Gestalten umkreisen: Da stoppt die Ouvertüre zur „Entführung aus dem Serail“, Mozart wirft das Leichentuch ab und verkündet aus Frank Sinatras Mund, er werde leben, bis er sterbe. In Schwerin dauert das 90 Minuten, und auch dann ist er längst nicht tot, wird bloß vom Kardinal, wie der sich betreten umwendet, trotz bittend ausgebreiteter Arme schnöde abgewiesen. Allerlei biografischer Zündstoff steckt in diesem Finale. Dass es aber nicht nur bierernst zugeht, dafür sorgen der Choreograf und nicht zuletzt Mozart selbst, im Leben eher enfant terrible als trockener Kompositeur. Devos dröselt einige Fakten der Vita auf und ordnet sie, womöglich sogar mit einigem Recht, fröhlich Arien zu, als seien diese Spiegel der Wirklichkeit. Auch wenn Mozart als singendes Monument Sinatras Swing mitsingt, ereilt ihn rasch sein Schicksal. Das personifizieren in transparentem Schwarz Julio Miranda und die „Musik“ Anne-Frédérique Hoingne, geleiten ihn zum Arbeitstisch, wo er fortan wie besessen sein Œuvre schöpfen wird. Aus der Ecke beobachtet ihn unter einer Kapuze der Vater, greift ein, wenn nötig. Zu einem Terzett aus „Così fan tutte“ werden Frauen auf die Szene gezerrt, „Figaro“ Giuseppe Salomone fragt präsent und raumfüllend den Grafen, ob er denn den Tanz mit ihm wagen wolle. Zwischendrin erfährt man aus eingelesenen Briefen, was den Meister aufwühlt: dass seine Bittschrift bei Hofe nicht angenommen, er sogar hinausgeworfen wurde. Da wird Mozart zum leidgeprüften Tamino, den Schicksal und Musik ertränken wollen und über dem sich der nächtlichen Königin Rache entlädt. Den Jüngling stürzt das zu Christina Aguileras „Lady Marmalade“ in eine wüste Sex-Orgie, in der auch „Kardinal“ Ivan Kosyuk einschlägige Fähigkeiten ausstellt. Als Constanze und Belmonte finden sich die realen Liebenden, bis der „Dies Irae“ des „Requiems“ Mozart zu Boden schmettert und aller Finger auf ihn weisen.

Dass Textgesang dem Tanz bisweilen Fallen stellt, zeigt im Teil nach der Pause der Papageno-Papagena-Komplex: Ganz ohne Bezug auf den Wortinhalt lässt sich nicht choreografieren, auch wenn Mozart selbst das fiktive Glockenspiel bedient. Wie heiter das Duett gelingen mag, sinniert der Meister doch im Brief über den Tod als Schlüssel zur wahren Glückseligkeit. Das ruft „Don Giovanni“ dramatisch auf den Plan, wird aufgefangen vom Adagio aus Klavierkonzert Nr. 23: In dieser Gruppenszene verschwistern sich geschmeidiger Tanz sowie die Erzählung um Arbeitszwang und Lebenssehnsucht auf gelungene Weise. Als schmeichlerisch Don Giovanni die Geliebte bittet, ihr Fenster zu öffnen, schläft Mozart bereits erschöpft. Teile seines „Requiems“, Confutatis und Lacrimosa, zeichnen in düsterer Atmosphäre den Ausklang des Lebens nach. Das erlösende Amen bleibt Mozart verweigert.

Wohltrainiert und hochmotiviert bewältigt die Ballettcompagnie des Mecklenburgischen Staatstheaters, was Lode Devos sehr dicht an klassisch basierter Choreografie erdacht und so kurzweilig wie stringent inszeniert hat. Dass hier jeder ein Solist ist, stellt allen reiche Aufgaben. Maxim Perju, klein von Wuchs wie das Original und proper im Körperbau, leiht der Titelgestalt überzeugend seine Erfahrung als Tänzerdarsteller. Wenn hier die Musik vom Band erklingt, ist das verständlich. Dass jedoch auch weiterhin das Ballett auf Live-Begleitung hoffen darf wie bei „Coppélia“, ist angesichts neuer Sparpläne der Landesregierung nicht mehr sicher: Das Orchester des Hauses soll um 10 Stellen schrumpfen, auf Gehaltserhöhung verzichten und dafür mit mehr freien Tagen belohnt werden. Zu Lasten auch des Tanzes?

Wieder 23.2., 7.3.
 

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