„Opera“ von Alexei Ratmansky. Tanz: Roberto Bolle, Beatrice Carbone, Mick Zeni und Emanuela Montanari

„Opera“ von Alexei Ratmansky. Tanz: Roberto Bolle, Beatrice Carbone, Mick Zeni und Emanuela Montanari

Russische Seele und barocke Pracht

Ein Ballettabend von Alexei Ratmansky an der Mailänder Scala

Mit einem ganz und gar russischen Ballettabend beginnt am Teatro alla Scala die neue Ballettsaison.

Mailand, 06/01/2014

Mit „Serata Ratmansky“ eröffnete die Mailänder Scala ihre Ballettsaison. Der russische Choreograf ist hier kein Unbekannter. Schon in der letzten Saison wurde er für seine Kreation „Concerto DSCH“ gefeiert. Diese Choreografie zur Musik des zweiten Klavierkonzerts in F-Dur von Dmitri Schostakowitsch von 1957 bildet jetzt den Mittelteil eines neues Abends, der mit „Russian Seasons“ - entstanden 2006 für das Moskauer Bolschoi-Ballett - beginnt. Als grandioses Finale konzipiert ist die Uraufführung von „Opera“ mit musikalischen Reminiszenzen an die barocke Opernwelt von Leonid Desyatnikov. Sie ist eigens für diese Produktion auf Texte von Pietro Metastasio und Carlo Goldoni komponiert.

Von Desyatnikov stammt auch die Musik zu „Russian Seasons“. Ein klingendes Jahr mit vornehmlich lyrischen Gesängen für Sopran und Orchester, die sich am Festkalender orientieren. Da gibt es ein Wiegenlied, einen Pfingstgesang, ein Lied der Freude, dem ein Fastengesang folgt. Ein Hochzeitsgesang, ein Lied zum Karneval und ein Finale mit Gotteslob und Halleluja schließen sich an. Dazu sechs Tanzpaare, jeweils in den Farben weiß, rot, grün, blau, bordeaux und violett.

Je nach „Anlass“, mal mehr oder weniger heiter, dann auch elegisch, klassische Disziplinen mit folkloristischen Anklängen, Konkurrenzen und Rivalitäten der Männer, Zartheit der Frauen. Und über allem die wunderbare Schwermut der russischen Seele, getragen vom Gesang der Sopranistin Alisa Zinovjeva und der Violinsolistin Laura Marzadori.

Die Tänzerinnen und Tänzer in verschiedenen Konstellationen - kurze Soli, kleine Duette und darin besonders beglückend die sanften Hebungen, bei denen die Tänzerinnen in den Armen der Tänzer leicht schwebend getragen werden zum sanften Finale der Musik und des Gesanges.

Mit dem Solisten Davide Cabassi dann das zweite Klavierkonzert von Schostakowitsch im Ballett „Concerto DSCH“. Es ist ein autobiografisches Zitat des Komponisten mit den Noten der Anfangsbuchstaben seines Namens. Es macht große Freude zu sehen wie Ratmansky der Musik folgt, wie er der Rhythmik des ersten Satzes bewegte Bilder abgewinnt, der Melancholie des zweiten Satzes emotional verstärkt und verspielt, heiter und temperamentvoll in einem Pas de trois mit den Solisten Stefania Ballone, Valerio Lunadi und Frederico Fresi dem musikalischen Flug des Finalsatzes entspricht. Höhepunkt aber ist ein Pas de deux zum ruhigen Fluss des Mittelsatzes: eine Huldigung an die Schönheit des Spitzentanzes, eine Abfolge getanzter Zärtlichkeiten für das wunderbare Paar Nicoletta Manni und Marco Agostino.

Die Uraufführung „Opera“ beschwört zunächst optisch die Pracht der barocken Oper mit ihren Tanzeinlagen. Holly Hynes hat für die acht Tänzerinnen und die acht Tänzer des Corps de ballet herrliche, kriegerisch anmutende Kostüme mit dazugehörigem opulentem Kopfschmuck geschaffen. Etwas länger sind die Röcke der Damen wegen der geschmeidigen Eleganz - falls sie nicht amazonenhaft streitbar agieren -, etwas kürzer für die Herren wegen der Freiheit für die fulminanten Sprünge in den von feiner Ironie gebrochenen Kampfessprüngen, die Ratmansky ihnen in die gestählten Beine choreografiert hat.

Dazu zwei Solistenpaare der Spitzenklasse: ganz in blau gekleidet sind Emanuela Montanari und Mick Zeni. In roter Pracht dagegen die Kostüme von Beatrice Carbone und Roberto Bolle. Das Ganze spielt vor Wendall Harringtons opulenten Projektionen barocker Motive um die Darstellung des Universums und im raffinierten Licht von Mark Stanley. Die dazu komponierte Musik für Sopran, Mezzosopran, Tenor und Orchester orientiert sich an barocker Opernmanier. Die verwendeten Texte des Pietro Metastasio sind den Opern „Temistocle“, „Demetrio“ und „Adriano in Sira“ entnommen. Also genügend Anlass für Kampfeslust und Liebeslist, für Krieger und Bräute, für militante Marschanordnung und zärtliche Annäherung, für Konkurrenz, Duette und Duelle - bis es blitzt.

Blitzgescheit und funkelnd in ihrer Brillanz hat Ratmansky die technischen Möglichkeiten der Kompanie auf die Spitze getrieben. Zum barocken Bild des Universums kommt das des Tanzes, höfische Akkuratesse paart sich mit dem Übermut des Sprunges. Die Brillanz des schwebenden Spitzentanzes wird hier hervorgekehrt und mischt sich harmonisch mit der kraftvollen Geste der konkurrierenden Kavaliere in rot und blau.

Natürlich ist Roberto Bolle der Star des Abends. In seiner so natürlichen wie lässigen Art, jedoch mit höchster Präzision, weist er im Verein mit den choreografischen Anforderungen Ratmanskys unmissverständlich darauf hin, wie wandlungsfähig das Ballett ist, und welche Überraschungen ganz sicher noch zu erwarten sind. Denn in das so historisch orientierte wie ironisch gebrochene Tableau zum Finale fährt schon ein Blitz aus dem auch nicht mehr so ganz barocken Bild des himmlischen Theaters. So mag sich Alexei Ratmanskys Kunst vielleicht beschreiben lassen. Sie ist der Tradition verpflichtet, aber eben nicht verhaftet. Sie hechelt dem Effekt nicht hinterher. Er stellt sich von selbst ein. Und doch blitzt die Tradition immer wieder auf in jener unverzichtbaren Leichtigkeit des Tanzes, ganz nahe schon an der Schwelle zur Seelentiefe - um einem Gedanken von Walter Sorell zu folgen.
 

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