„Das Wahre Gesicht - Dance is Not Enough“ von Christoph Winkler

„Das Wahre Gesicht - Dance is Not Enough“ von Christoph Winkler

Tanz dem Kapitalismus!

„Das wahre Gesicht – Dance is not enough“ von Christoph Winkler

„Das wahre Gesicht – Dance is not enough“ ist die dritte Produktion des Berliner Choreografen Christoph Winkler, die sich dem Thema „Dance&Politics“ widmet.

Berlin, 04/11/2013

„Das wahre Gesicht – Dance is not enough“ ist die dritte Produktion des Berliner Choreografen Christoph Winkler, die sich dem Thema „Dance&Politics“ widmet. „Taking Steps“ (2010), das erste Stück dieser „offenen Reihe“, übertrug den Begriff vom lebenslangen Lernen auf die tägliche Praxis von Tänzern. Mit „Dance!Copy!Right?“ (2012) verhandelte Winkler Probleme und Fragen des Urheberrechts in Bezug auf die Choreografie beim Tanz. Sein neustes Stück fragt nach den körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten von Protest im öffentlichen Raum.

Als Aktions- und Diskussionsort dient eine weiße, halb runde Bühne, im ehemaligen Ballsaal. Hier tragen die vier Tänzer Ahmed Soura, Chris Daftsios, Luke Garwood und Luis Rodriguez ihr Wissen und ihre individuellen Erfahrungen von Protest zusammen. Dabei berichten sie sowohl verbal wie körperlich über öffentlich organisierte Widerstandsaktionen in den verschiedensten Ländern und Kontinenten. Ein Beispiel führt nach Ägypten. Eine Projektion eines Youtube-Videos an der Rückwand der Bühne zeigt eine Straßenaktion des Kairoer Balletts im Rahmen der Protestaktionen von Ägyptens (Kultur-)Szene gegen die herrschenden Islamisten im Sommer dieses Jahres. Im Zuge des Amtsantritts des neuen ägyptischen Kulturministers Alaa Abdel-Aziz, ein Angehöriger der Muslimbruderschaft, war der Chefin des Balletts gekündigt worden. Zudem wurde von Seiten der Salafisten im Abgeordnetenhaus der Vorschlag gemacht, Ballett ganz aus dem Spielplan der Oper zu streichen, da diese Kunstform zu freizügig sei. TänzerInnen hatten als Protest deshalb Teile der aktuellen Inszenierung „Zorba“ auf den Platz vor das Kulturministerium verlegt.

Winklers Tänzer greifen die Sirtaki-Bewegungen aus dem Video auf und führen sie dem Publikum live vor. Sie sprechen auch über die Aktion ihrer Kairoer Kollegen. Darüber, dass Ballett hier zu einer Kunst des Volkes werde, obwohl es ursprünglich eigentlich höheren Schichten vorbehalten war und darüber, dass sie ohne die Proteste und die Reichweite des Internets wahrscheinlich nichts vom Kairoer Ballett erfahren hätten. Der Fall ist klar, das tagespolitische Geschehen bietet dem Tanz als Protestform hier eine öffentliche Plattform.

Auch in der Wirkkraft von emotionalen Körpern entdecken Winkler und seine Tänzer subversives Potential. Dass Tänzer bewusst Techniken einsetzen können, um im Zuschauer Gemütsbewegungen zu erzeugen, zeigt sich nicht nur in der Art, in der Ahmed Soura mit ausladenden und kraftvollen Schritten die Bühne durchquert und dem Publikum scheinbar Prügel androht. Auch bei Chris Daftsios kommt das zum Ausdruck, wenn er seinen Oberkörper mit Breakdance-Techniken seltsam verformt und dabei ein Vexierspiel zwischen einem zaghaft freudigen und einem ernsten Gesicht vollführt.

Das Publikum, so aufgeklärt es in performativen Belangen auch sein mag, unterliegt dabei dennoch der Illusion des Affekts – erwiesenermaßen! Könnte es uns so auch mit der Idee der Demokratie ergehen? Diese Frage steht offensichtlich dahinter, und nicht nur Winkler weiß, dass es eigentlich keine Frage ist. Wir alle sind der neokapitalistischen Triebbefriedigungsmechanik tagtäglich ausgesetzt und lassen uns von ihr manipulieren. Das „wahre Gesicht“ des Gesellschaftsmodells weist Züge auf, die uns die Illusion, im „richtigen“ System zu leben, gründlich zur Grimasse geraten lässt.

Einen solchen Mechanismus setzt Winkler gekonnt für seine Inszenierung um. Mit einer Vielzahl von Beispielen führt er die Bandbreite rebellischer körperlicher Ausdrucksformen vor. Dabei lässt er nicht unerwähnt, dass diese nie unabhängig von gesellschaftlichen Umständen zu betrachten sind. Emotionale Stimmungsmache kann so auch einfach nur dazu dienen, den Alltag zu vergessen. Das zeigt u.a. auch das mehrere Minuten andauernde kraftvolle Springen der vier Tänzer zum Adrenalin-Schocker-Song „Hey boy Hey girl“ des Big Beat Duos The Chemical Brothers. Ein rhythmischer Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.

Das Überangebot an sinnlich intensiven Eindrücken, das Winkler seinem Publikum präsentiert, wird durch ein von einem Tänzer an einem Stab getragenes Schild beendet. „Enough“, heißt es darauf. Es folgen drei weitere Schilder, worauf „Is Dance not enough?“ zu lesen ist. Winkler bietet hier also zwei Statements an, die sich aber nicht widersprechen müssen. Damit wird der Tanz am Ende zu dem, was er eigentlich schon immer war: zum Balanceakt.
 

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