„Continuity“ von Walter Bickmann

„Continuity“ von Walter Bickmann

Tanz der Extremitäten

Walter Bickmanns „Continuity“ macht im Dock 11 Zeit erlebbar

Bickmann gelingt in „Continuity“ eine Auseinandersetzung mit dem Körper am Platz, wie sie intensiver, detaillierter kaum denkbar ist.

Berlin, 22/10/2013

Lange passiert nichts. In der Weite des bis auf die bröseligen Mauern leeren Raums im Dock 11 liegen zwei Menschen gekauert zu Häufchen, die Köpfe unter Kapuzen verborgen, und heben sich im Grau ihrer engen Strickbekleidung vom weißen Grund ab. Mattes Licht lässt das Fleisch der nackten Beine leuchten. Wie stumme Plastiken bieten sich die beiden Frauen den Blicken dar.

Dann aber beginnen sie sich unter dem Einfluss eines leisen Dröhnens zu regen, zeitlich zerdehnt, immer wieder einmal in synchronem Ausgangspunkt. Was sich indes zwischen diesen Parallelmomenten ereignet, bleibt individuell verschieden. Denn um in Raum und Zeit sich transformierende Skulpturen geht es Choreograf Walter Bickmann. Als Tänzer wurde er ausgebildet in München, gehörte den Ensembles der Staatsoper Wien und von Johann Kresnik an der Volksbühne Berlin an, war Tanztheaterleiter in Stendal, bis ihn dort die Spartenauflösung aushebelte. Als freier Choreograf und Videokünstler macht er seither von sich reden und trat zuletzt 2010, da ebenfalls im Dock 11, mit einer gleichsam skulpturalen Bewegungsrecherche an die Öffentlichkeit.

Diesmal geht er hiermit noch sparsamer um als in „Icon“. Seine zwei Interpretinnen verharren die gesamten 50 Minuten über am Platz, verzichten gänzlich auf Ausbrüche in den Raum hinein. Ausbrüche sind es dennoch, die ihre Körper sich verdrehen und verbeulen, winden und in marionettenhafte Veränderung fallen lassen. Von der Bodenlage bis zum vollen Stand, dann die Arme mit verschränkten Händen hochgereckt und eine Weile gehalten, durchlaufen sie einzelne Schichtungen des Raumes. Köpfe wenden sich ruckartig wie bei Vögeln, Körperachsen lenken sich aus, Arme, die im Sitz durch Beine fassen, führen zu plastischen Durchdringungen gleich modernen Skulpturen. Wie ein Bildhauer greift Bickmann in fixe Körper ein, verändert sie nach seinem Bild und macht so zeitliche Abläufe sichtbar. Was ihm bei der Arbeit mit festem Material, Holz, Stein, Bronze, nicht möglich wäre, permanent die Ergebnisse zu „korrigieren“, gestattet der Einsatz lebender „Materialien“. Das führt bisweilen zu einem Staccato in der Bewegungsabfolge, als würde man einem Trickfilm zuschauen.

Trifft das besonders auf Katja Scholz zu und führt bei ihr bis zu exzessiven Eruptionen, gestalten sich die Folgen der Lydia Klement zunächst gebundener, flüssiger und weniger kleinteilig. Beide Tänzerinnen bleiben die ganze Spiel-Zeit über versunken bei der Suche im eigenen Leib. Ihre Oberkörper klappen weg wie beim „Taschenmesser“, der Kopf scheint sich in den Boden bohren zu wollen, Zug will den Körper ins Unendliche dehnen, bis die Spannung reißt − reißen muss. Am Boden „wandert“ der restliche Körper um die „justierte“ Hand als Zentrum. Auch Schwebelagen erinnern an skulpturale Gebilde. Eine Collage aus Rauschen, Knistern, Wummern, Tuten und anderen elektronisch wiederholten Geräuschen wie bei verhakelten Schallplatten begleitet all die minimal invasiven Eingriffe platzgebundener Körper in den Raum hinein. Wird der Zug beispielsweise im Arm zu groß, kommt es zu Instabilität: Die Tänzerinnen taumeln, gehen zu Boden. Vor und rück wie Chamäleons krabbeln sie dann, richten sich allmählich wieder auf und schwanken fast unmerklich am alten Standort, ehe darüber ganz langsam das Licht erlischt.

Bickmann gelingt in „Coninuity“ eine Auseinandersetzung mit dem Körper am Platz, wie sie intensiver, detaillierter kaum denkbar ist. Alles an Bewegung von Rumpf und Extremitäten scheint dabei möglich, kein Zustand unmöglich. In der Zeit kontinuierlich läuft das wohl ab, einer Kontinuität jedoch im Körper beugen die ruckartigen Folgen vor: Sie zerlegen und zerteilen eher in Phasen, „digitalisieren“ somit, als dass sie eine „analoge“, stetige Entwicklung von Bewegung gestatten. Wie Bickmann das zwischen seinen zwei Tänzerinnen korrespondierend komponiert und gefügt hat, verleiht seiner Arbeit einen zusätzlichen Reiz. Besonders Lydia Klement mit ihrem ohnehin plastischen Körper trägt dazu bei. Sie bestätigt hier erneut ihre unangefochten außergewöhnliche Stellung in Berlins Freier Tanzszene.
 

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