Marcos Morau / La Veronal
Marcos Morau / La Veronal

Nichts Halbes, kaum Ganzes

Zwischenbericht vom 2. modul-dance-Festival im Festspielhaus Dresden Hellerau

Das modul-dance-Festival steht für eine Förderung von innovativer europäischer Tanzkultur. In Hellerau präsentieren vielversprechende Nachwuchskünstler ihre neusten Arbeiten.

Dresden, 16/09/2013

Zwanzig europäische Tanzhäuser aus sechzehn Ländern kooperieren seit 2010 über die Dauer von vier Jahren und unterstützen dabei mehr als 50 junge Choreografen bei der Entwicklung eigener Arbeiten. Vergangenes Wochenende lief der erste Block der zweiten Ausgabe des modul-dance-Festivals in Dresden über die Bühne, in dem wieder einige Arbeitsergebnisse gezeigt wurden. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Die Dinge sind im Entstehen begriffen. So könnte man sagen, angesichts der bisher gezeigten Arbeiten. Aber das sind sie ja grundsätzlich. Aber eben teilweise auch unfertig. So waren drei von vier gezeigten Arbeiten explizite „works in progress“. Lediglich die deutsche Erstaufführung „Siena“, die Arbeit von Marcos Morau / La Veronal aus Spanien, galt als abgeschlossen. Und tatsächlich ist sie eine runde Sache. Der Choreograf konnte bereits beim ersten modul-dance-Festival mit „Russia“ punkten. Auch diese Arbeit kann wieder als gelungen bezeichnet werden. Dramaturgisch ließe sich das Ganze zwar durchaus etwas straffen, aber das ist nur ein kleiner Punkt. Er siedelt seine Arbeit in einem Museum, einer Gemäldegalerie an und lässt seine Tänzerinnen in Fechtkleidung in schönster Manier der Forsytheschen Improvisationstechniken ein skurriles Geschehen exerzieren. Begleitet durch den Dialog einer Frau und eines Mannes aus dem Off entwickelt sich eine Art traumartiger Sequenz.

Nachts im Museum. Ohne jemandem zu viel der Lorbeeren zukommen zu lassen, kommt man doch nicht umhin, angesichts der rätselhaften, fast albtraumhaft verstörenden Momente immer wieder an Filme von David Lynch zu denken. Wiederholtes Klingeln eines Telefons, eine Bahre, auf die eine Museumsbesucherin gelegt und von der Bühne gebracht wird. Gegen Ende ist sie tot aufgebahrt, die Tänzerinnen nehmen Abschied. Immer wieder finden sich in den Tableaus typische Figurenkonstellationen klassischer Gemälde. Vertanzte Bildbetrachtung.

Mit einer Fechtszene beginnt auch Agata Maszkiewiczs Stückentwicklung „Duel“. Sie lässt in sehr unterschiedlichen Szenen zwei Frauen aufeinander los, die sich gegenseitig nichts schenken. Sie duellieren sich nicht nur und versuchen, sich gegenseitig in jeglicher Hinsicht zu übertrumpfen. Maszkiewicz hat es sogar geschafft, die beiden Frauen quasi gegen den Mann als solchen antreten zu lassen. Das ist streckenweise saukomisch, beispielsweise, wenn sich die beiden in schönster Show-Wrestling-Manier auf dem Boden wälzen und kreischen, dass die Wände wackeln, dem Ganzen aber noch eine Metaklammer versetzen: „Now you take my leg“. Gleichzeitig gelingt der Arbeit auch eine auffällige Sensibilität, sodass die beiden Tänzerinnen mit ihren entblößten Brüsten nicht einfach nur nackt, sondern auch verletzlich wirken. Nicht alle Szenen überzeugen, aber die Arbeit weist sehr viel Potenzial auf.

Das Gleiche kann man über die noch unbetitelte Arbeit des Mosambikaners Panaibra Gabriel Canda sagen. Seine vier Tänzer beginnen bereits sehr intensiv, indem sie sich auf Stühle beziehungsweise dazwischen auf den Boden fallen lassen. Die Bewegungen verlaufen immer schneller, sodass die Geräuschkulisse zu Trommeln wird. Daraus entwickelt sich ein Kampf, dessen Streitpunkt eine Frau zu sein scheint. Am Ende geht es aber doch nur um einen Stuhl. Die Bewegungssprache ist hier sehr statisch. Die Tänzer verharren immer wieder in steifen Tableaus. Immer wieder kollabiert einer der Tänzer und wird von den anderen aufgefangen.

Doch nicht in jedem Fall. Es ist ein Kampf ums Dasein. Irgendwann beginnen die Tänzer, mit den Füßen zu stampfen, woraus sich ein lebhafter, typisch afrikanischer Rhythmus entwickelt, zu dem sie scheinbar tradierte Bewegungen zeigen, die ihnen gesellschaftlich eingegeben zu sein scheinen, so natürlich wirken sie. Auffällig ist dabei, wie sich in dieser Szene plötzlich die Gesichter der Tänzer öffnen. Diese Kraft im Ausdruck wurde vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen.

Das eigene Gesicht, das des Publikums, hat sich auch bei der letzten Arbeit, „Modul 6 – Swarming the Event Horizon“ von Rasmus Ölme (Schweden) geöffnet. Allerdings nicht vor Begeisterung. Acht Tänzerinnen und Tänzer durchlaufen zu völlig arbiträr eingespielter Popmusik eine Art warm up, ein nettes, völlig belangloses Impro-Spielchen ohne Sinn und Ziel. Darin ist keinerlei Bewegungsvokabular erkennbar. Alles nur reine Bewegung um ihrer selbst willen. Auch nach einer halben Stunde hat sich daran nichts geändert. Die Tänzer erzählen dem Publikum zwar in intimen Konstellationen Bruchstücke einer fiktiven Vita, aber zu einem Konzept für die Sache deswegen noch lange nicht. Das erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, dass hier unter anderen Tilman O’Donnell, kongenialer Tänzer der Forsythe Company, an der Entwicklung und Performance beteiligt ist.

Bleibt also abzuwarten, was der zweite Block am kommenden Wochenende bieten wird. Dann werden Arbeiten unter anderen aus der Schweiz und Griechenland gezeigt.
 

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