Geh Rückwärts!

„A pedestrian Romance“ von Martin Nachbar in Zusammenarbeit mit SEAD

Premiere von Martin Nachbars neuem Stück auf dem diesjährigen Sommerszene-Festival der SZENE Salzburg.

Salzburg, 06/07/2013

Ein junger Mann betritt die Bühne. Betreten kann hier im wörtlichen Sinne verstanden werden, denn in der neuesten Produktion von Martin Nachbar, die er in Zusammenarbeit mit fünf Performern der SEAD Schule für zeitgenössischen Tanz in Salzburg erarbeitet hat, steht das Gehen im Fokus des konzeptuellen Ansatzes.

Auf humorvolle Weise wird in „On Foot. A pedestrian Romance“ die „(...) wohl selbstverständlichste und alltäglichste Bewegung des menschlichen Körpers“, wie es im Programmheft heißt, auf ihr performatives Potential hin untersucht und hinterfragt. Damit greift Nachbar auf Strategien des Postmodern Dance zurück, ein Genre, deren Vertreterinnen im späten 20. Jahrhundert Alltagsbewegungen für den Tanz populär machten. Es verwundert daher nicht, dass der Anfang der Performance stark an „Radial Courses“ erinnert – ein frühes Werk der Choreografin Lucinda Childs, die dieser Epoche exemplarisch zugeordnet wird.

Auch bei der am heutigen Abend aufgeführten Schrittfolge gibt es einen Kreis-Score, dem die fünf PerformerInnen (die bei Childs nur vier sind) folgen, aber hier wird er, bevor er betreten wird, mit Kreide auf den Boden ge(kenn)zeichnet, sodass die Füße, die den Kreis mit ihren Schritten bemessen, zugleich Fußspuren hinterlassen. Spuren, die als Einflüsse der tanzgeschichtlichen Entwicklungen auf zeitgenössische Bewegungsformen gelesen werden können und den Horizont für die aktuelle Befragung historischer Ereignisse der Tanzgeschichte eröffnen.

Fast schon ein Reenactment könnte man meinen, aber im Gegensatz zu Nachbars bekannten Performance „Urheben Aufheben“, wird bei „A pedestrian Romance“ nicht direkt thematisiert, dass es um die Aneignung eines historischen Bewegungsmaterials geht, dass ursprünglich aus einer anderen Performance stammt. Denn tut es das wirklich? Das Gehen an sich lässt sich schließlich schwerlich als eine geschützte Bewegung deklarieren. Indem Nachbar also, angelehnt an die Zeit des Postmodern Dance, Alltäglichstes zur choreografischen Bewegung erhebt, hinterfragt er im Gleichschritt die juristische Grenzen urheberrechtlicher Fragen, wenn es um geistiges Eigentum geht. Zitat? Plagiat? Referenz?

Inmitten dieser zweifelhaften Zuschreibungen spazieren, schlendern, sprinten, stampfen und stolpern die fünf PerformerInnen umher, um schließlich ihre Schuhe auszuziehen und eine Geh-Pause einzulegen. Denn trotz der vielen Schritte lässt sich hier Niemand aus den Augen. Und so gewinnen Matan Lekowich, Matea Bilosnic, Na-Hee Lee, Peter De Vuyst und Sofia Papanikandrou mit ihren sympathischen und „authentischen“ Blickwechseln, sowohl untereinander als auch mit dem Publikum, schnell die Herzen der Zuschauer, die ihnen gespannt auf ihrem Parcours vor-, hinter- und nebeneinander her gehend folgen.

Ein unterhaltsamer Abend, der auf dem Nachhauseweg die eigenen Schritte etwas bewusster werden lässt. Wenn man denn nach Hause geht und nicht dem nächsten Programmpunkt durch die spätabendlichen Straßen Salzburgs folgt: Die Streetperformance „bodies in urban space“ von Cie Willi Döner, die als bewegte Prozession durch den Stadtraum zieht, dort kurzzeitig menschliche Skulpturen bildet und so den alltäglichen Blick auf architektonische Gegebenheiten der Salzburger Gässchen, Plätze und Brücken hinterfragt.

Nach dem großen Auftakt der viel umjubelten Performance „Enfant“ von Boris Charmatz ein gelungener Einmarsch ins diesjährige Sommerszene-Programm, das Salzburg kurz vor Beginn der weniger innovativen Festspiele und noch bis zum 13.07.13 in eine Schmiede der zeitgenössischen Kunst- Performance- und Tanzszene verwandelt. 
 

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