„Marketplace 76“ von Jan Lauwers

„Marketplace 76“ von Jan Lauwers

Zwischen Himmel und Hölle

Jan Lauwers und Needcompany zeigen „Marketplace 76“ im Frankfurter Mousonturm

„Marketplace 76“, das im vergangenen Jahr bei der Ruhrtriennale Premiere hatte, spielt rund um den Marktplatz eines Dorfes mit seinem „Fons amoris“, seinem Liebesbrunnen. Doch hat die Liebe nur noch wenig Platz, der Tod hat Schmerz und Verzweiflung gebracht, Mord und Selbstmord sind die Folge.

Frankfurt, 15/04/2013

„Alles tanzt“ in Frankfurt. Und damit knüpfen die Verantwortlichen an eine gute Tradition der 80er/90er Jahre an. Dank der Förderung durch den Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main können wieder größere Gruppen nach Frankfurt eingeladen werden und da die Bühne des Mousonturms beim Umbau vergrößert wurde, auch dort spielen. So konnten Tanz- und Theaterbegeisterte am Wochenende einmal wieder die Needcompany erleben, die in weiland TAT-Zeiten schon in Frankfurt zu Gast waren.

Die aus Belgien kommende, international besetzte Needcompany wurde 1986 von dem studierten Maler Jan Lauwers und der Tänzerin Grace Ellen Barkey gegründet; die beiden zeichnen verantwortlich für einen Großteil der seitdem entstandenen Stücke, haben aber auch Projekte mit anderen gemacht. Die Needcompany ist eine Performance-Gruppe, in der alle Beteiligten auf mehreren Gebieten ihr Können zeigen, und das höchst intensiv: sie spielen Instrumente und singen, schauspielern und tanzen, auch das Handpuppenspiel spielt eine wichtige Rolle. Gesprochen wird auf Englisch, manchmal auch Französisch, auf einer digitalen Anzeigetafel unter der Decke ist jeweils die deutsche Übersetzung zu lesen.

Im Mousonturm wurde „Marketplace 76“ präsentiert, das im vergangenen Jahr bei der Ruhrtriennale Premiere hatte. Das Stück spielt in drei Akten rund um den Marktplatz eines Dorfes mit seinem „Fons amoris“, seinem Liebesbrunnen. Doch hat die Liebe nur noch wenig Platz, der Tod hat Schmerz und Verzweiflung gebracht, Mord und Selbstmord sind die Folge. Eine Gedenkfeier soll ausgerichtet werden für die 24 Bewohner, die vor einem Jahr durch die Explosion einer Gasflasche ums Leben kamen, darunter sieben Kinder. Die hilflos-skurrile Trauerfeier bringt nicht wirklich Trost, in der emotional aufgeweichten Situation kommen weitere Tragödien ans Licht. Da können die beiden Straßenkehrer sich noch so sehr um Sauberkeit bemühen.

Ein Mädchen wird während der Gedenkfeier entführt, 76 Tage in einem Keller festgehalten und missbraucht. Die Missbrauchsszene findet versteckt statt und wird auf einen Bildschirm an die Rampe übertragen, doch verliert sie dadurch nicht an Kraft. Es geht unter die Haut und die Grenze des Erträglichen. Erinnerungen an den Kinderschänder Dutroux kommen auf. Die verzweifelte Mutter stirbt nach einem Klagelied, wird von einer kriechenden Kreatur weggeschubst. Wie aus einem Hieronimus Bosch’ Bild entsprungen. Es kommt zum Tribunal, der Polizist ist um einen geordneten Ablauf bemüht, doch verselbstständigen sich die Handlungen. Schließlich ist der Kinderschänder tot und wird mittels Scheinwerfergalgen unter die Decke gezogen. Von wo er sich irgendwann meldet und runtergelassen werden will.

Das ist einer der zahlreichen Brüche im Stück, die immer wieder sagen: wir spielen Theater, hier ist nicht die Realität, dennoch ist alles irgendwie real. Als der Aufgeknüpfte beim Herunterfahren wie Gott Amor elegante Ballettposen einnimmt, führt das sogar zu entlastendem Lachen im ansonsten bedrückend ernsten, teils chaotisch-lautem Geschehen.

Aber es gibt auch die leisen Töne und nachdenklichen Momente, die vor allem in den Liedern zum Tragen kommen, die von den Komponisten Rombout Willems, Maarten Seghers und Hans Petter Dahl stammen. Lieder zwischen Musical, Ballade und Countrysong, oft auch bezaubernd mehrstimmig gesungen.

Es sind durchaus lange zweieinhalb Stunden (ohne Pause) voller Emotionen, die die Needcompany sich und den Zuschauenden zumutet. Wenn eine Geschichte scheinbar zu Ende ist, knüpft sich die nächste daran. Die Frau des Bösewichts wird als Komplizin entlarvt, wieder gibt es ein Dorftribunal. Als sie ihre Buße – 76 Tage Eingesperrtsein – abgesessen hat, kommt heraus, dass sie „die Hure des Dorfes“ ist; die dann mit der Geburt eines Kindes, ein aufgeblasenes Monster, alle zur Versöhnung führt. Es könnten ja alle Männer des Dorfes der Vater sein. Das Credo des gemeinsam kreierten Stücks lautet dann wohl: die Gemeinschaft siegt. Es performen neben Lauwers und Barkey, den Komponisten Dahl und Seghers noch: Anneke Bonnema, Julien Faure, Yumiko Funaya, Benoît Gob, Sung-Im Her, Romy Louise Lauwers, Maarten Seghers, Emmanuel Schwartz, Catherine Travelletti, Elke Janssens.

www.needcompany.org
 

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