„Tohuwabohu“ von Gregor Zöllig

„Tohuwabohu“ von Gregor Zöllig

Liebeswirrwarr im Multikultidurcheinander

Gregor Zölligs „Tohuwabohu“ in Bielefeld

Lachen, Anmachen und sich unterhalten lassen. Zölligs neue Premiere kommt gut an.

Bielefeld, 07/04/2013

An die hundert dieser fliegengewichtigen weißen Plastikstühle, wie sie nun bald wieder überall vor Eckcafés und Gartenlauben prunken werden, stehen in akkuraten Reihen in einem weißen Pavillon mit Plexiglasschiebetüren und einer Galerie auf der Bühne (Ausstattung: Annette Breuer). Die Tänzer schlendern herein und lassen sich ganz hinten nieder, schlängeln sich dann paarweise nach vorn, posieren, drehen und wenden sich wie Models auf dem Catwalk. Bei der nächsten Runde haben sie die Klamotten getauscht. Attitüden, Gesten und Mimik sind aber exakt wie vorher. Kleider machen Leute? Ein Vorurteil! Ich bleibe, wie ich bin. Und die Musik säuselt dazu den langsamen Walzer „Ich weiß, es wird ein Wunder gescheh'n“ - live gespielt (ein bisschen mit links und zwischendurch schräg) von den Bielefelder Philharmonikern unter Christian van den Berg, der das nostalgische Potpourri arrangierte und teilweise neu komponierte.

Ein ausführliches „Bäumchen, wechsel dich“ folgt. Man gafft den Nachbarn abschätzig an, setzt sich von ihm weg, wechselt dahin, wo die anderen offenbar was Interessanteres sehen. Dem Herdentrieb folgt der Versuch, sich als Individuum zu profilieren. Immerhin kommen die zehn Akteure aus neun verschiedenen Ländern − da wird man doch wohl das Publikum mit einem Zungenbrecher in der eigenen Sprache auf seine Seite bringen! Spätestens jetzt ist der Funke ins Publikum übergesprungen.

Immer wieder gibt's „Anmachen“ − Gelächter. Zwei Mädels (Ursina Hemmi und Brigitte Uray) tuscheln laut über Männer im Parkett. Dirk Kazmierczak und Brigitte Uray demonstrieren Vorurteil via Halbwissen, das den Portugiesen Tiago Manquinho zur Weißglut bringt: Portugal sei eine spanische Provinz mit der Hauptstadt Porto, und man spreche dort brasilianisch…

Zwischendurch legen Elvira Zuῆiga (die rassige Costa Ricanerin mit den hüpfenden Löckchen), Hsuan Cheng (die strenge Taiwanesin mit dem verschmitzten Lächeln), Wilson Mosquera Suarez (der markige Sportsmann aus Kolumbien) und der jungenhafte Portugiese Tiago Manquinho als hinreißend elegische Ausdruckstänzerin Solos aufs Parkett. Und das wird immer besser in dieser Truppe!

Man tanzt eng umschlungen. Dort keift einer, hier schmachtet eine (die trippelnde Taiwanesin nervt den Portugiesen gehörig). Nach 75 Minuten ruft eine: „Aufräumen, Leute!“ Die Stuhlstapel und Klamottenberge werden von den Rändern in die Mitte geschmissen. Ein riesiger Haufen geschwungener Plastiklehnen, himmelwärts ragender Stuhlbeine und bunter Stoffe − was für ein Tohuwabohu! Schluss mit dem Liebeswirrwarr und Multikultidurcheinander.

Bloß keinen Kopf machen über Logik und Tiefe dieses Tanzstücks oder über das, was der Dramaturg im Programmheft darüber „verrät“. Einfach hingehen, ablachen − aus und fertig nach einer guten Stunde. Bis auf die Applausorgie, die in Bielefeld auch noch zu jedem Tanzabend gehört. Wirklich: Gregor Zöllig und seiner sympathischen Truppe geht's blendend im angeblich so steifen Ostwestfalen!
 

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