Vom Wahren der Formen und sommerlichem Ungestüm

Vom Wahren der Formen und sommerlichem Ungestüm, 21.06.2001 Zürcher Ballett (Forum)

Ludwigsburg, 20/06/2001

Wenn eine Aufführung so authentisch und künstlerisch lauter ist wie „Les fêtes galantes“, mit der das Institut für Alte Musik der Staatlichen Musikschule Trossingen im Ludwigsburger Schlosstheater gastiert hat, dann vermittelt sie weit mehr als nur Kenntnisse über die Tanzvergnügen im Barock. Sie führt ihr Publikum zurück in jene Zeit, vor der es bald erkennt, dass deren Menschen von ganz anderem Schlage gewesen sein müssen, als es die heutigen sind. Mit vollendeten Umgangsformen, und selbst beim ausgelassenen Tanze, zu dem sich professionelle Künstler und der Adel zusammen fanden, nie ihren gesellschaftlichen Stand vergessend. Lüsternheit wird mit einem scheuen Blick signalisiert, Erstaunen mit der geziert vor den Kopf geführten Hand.

Auch die Musik schien stets sozusagen die Form zu wahren, beschränkte sich beinahe darauf, mit ihrem strikten Rhythmus den Tanzenden ein sicherer akustischer Leitfaden zu sein. Ohnehin waren die damaligen Instrumente kaum dazu geeignet, vibrierende Emotionen auf die Bühne zu schicken. Und doch sind diese ziselierten Tänze der Musen, Harlekins, Zyklopen und Apolls, mehr Kalligrafie als Choreografie, von einer bezaubernden Leichtigkeit und Vielfältigkeit. Ihre fein ausgeführten Sprünge und Drehungen, ihre kunstvollen Ports de bras und die Raffinesse ihrer Gruppenornamente weisen deutlich ins heutige Ballett.

Die Choreografin Hannelore Unfried hat mit der sorgfältigen Rekonstruktion dieser Tänze eine außerordentlich wichtige Arbeit geleistet, die dem heutigen Publikum gewissermaßen als Brevier für das Verstehen der Tanzkunst dienen könnte. Und das gilt durchaus auch für das große, auf Originalinstrumenten musizierende Barockorchester unter der Leitung von Philippe Pierlot.

War es Zufall oder kluge Festspiel-Dramaturgie, dass am nächsten Abend im Forum-Theater das Züricher Ballett mit der Uraufführung von Heinz Spoerlis „All Shall Be“ zu Bachs berühmter Ouvertüre D-Dur BWV 1068 eine direkte Verbindung zu diesen Barocktänzen knüpfte und damit die Entwicklung des Tanzes und das heutige Verständnis der Barockmusik demonstrierte? Die Choreografie, vom Festspielorchester unter Wolfgang Gönnenwein mit Verve vorangetrieben, hat so gar nichts von barocker Nobilität, sondern prescht mit weiten Sprüngen über die Bühne, zwinkert nicht etwa vornehm mit den Augen, sondern winkt aufgekratzt ins Publikum.

Spoerli hat mit diesem Stück ein helles, sommerlich-ungestümes Divertissement geschaffen, in dem die Damen, wenn sie es sich nicht gerade auf den Rücken der Herren unbequem machen, charmant und stolz auf Spitze stolzieren, und in dem sich die Herren, von ihrer süßen und schweren Last befreit, vergnügt die Hände reiben und sich vehement in den nächsten Tanzwettbewerb stürzen. Vor allem Michael Rissmann begeistert immer wieder mit seinen Eskapaden und blitzschnellen Pirouetten, die seine Arme wie Zauberbänder empor fliegen lassen. Und die noch seit ihren Stuttgarter Tagen bestens bekannte Ana Quaresma im Reifrock-Gerippe, deren gute Laune die gesamte Truppe zu beflügeln scheint.

Ein schnelles, ungemein kraftvolles Ballett, das dennoch nicht überhastet, sondern wohl ausgewogen ist und Bachs feurige Musik als Partner und nicht als beliebige Begleitung versteht. Spoerli hat sogar unserer Sehnsucht nach der barocken Harmonie ein Bild gemalt: Im populären Air wird Karine Seneca in einem kurzen Pas de deux überaus behutsam bewegt, während sich neben ihr das Ensemble in merkwürdigen Posen wie im schmerzenden Heimweh nach einer besseren Zeit windet.

An den Beginn des Programms hatte Spoerli seine „Folk Songs“ aus dem vergangenen September gestellt. Ein optisch höchst attraktives Ballett, für das Florian Etti gewaltige Nebelschwaden mit einer diagonalen, grünen Laserlicht-Wand zerschneidet, in der die Tänzer lange Schatten werfen und hinter der sie unsichtbar sind. Das schafft verblüffende Effekte, wenn einzelne Körperteile aus dem Nichts ragen, Körper aus ihm stürzen und in es geworfen werden. Spoerlis sensible Choreografie der kurzen, heiteren und elegischen Begegnungen, seine Kunst des Erzählens, geraten allerdings in die Gefahr, von dieser brillanten Bühnentechnik etwas überstrahlt zu werden. Das Stück wird vom Züricher Ensemble „Opera Nova“ exzellent begleitet. Und lebenspralle Interpretation der von Luciano Berio bearbeiteten Volkslieder durch die Mezzosopranistin Ursula Ferri ist ein singuläres Ereignis.

Statt der ursprünglich angekündigten zweiten Uraufführung hatten die Züricher noch den dritten Teil von Spoerlis „…und mied den Wind“ mitgebracht, dessen erste beide Teile vor zwei Jahren unter dem Titel „Elements“ im Ludwigsburger Schloss Premiere hatten. Jetzt kennt man also auch hier das komplette Werk. Zur von Claudius Hermann live neben der Bühne gespielten Suite für Violoncello solo Nr. 5 BWV 1011 von Bach tanzen Solisten und ein großes Ensemble in einem mächtigen Ring aus Flammen geheimnisvolle Rituale, in sich gekehrt und traumverloren, doch von immenser Kraft und gegenseitiger Wirkung. Wenn etwa ein Paar den Kreis voller Tänzer betritt, dann weichen sie von ihm wie zarte Wellen von einem ins Wasser geworfenen Stein. Hier zeigt sich Spoerli erneut auf der Höhe seiner musikalischen Empfindsamkeit und choreografischen Reinheit.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern