Episoden zu Cages „Sixteen Dances“

Zweite DANCE-Uraufführung in München

München, 01/11/2012

Choreografen, die nach Ansicht der Kuratoren Nina Hümpel und Dieter Buroch einen wichtigen Beitrag zu Gesicht und Landschaft der internationalen zeitgenössischen Tanzszene geleistet haben, prägen das Programm der diesjährigen Münchner Biennale DANCE. Vier von ihnen haben jedoch nicht die Beiden ausgewählt, sondern eine Jury, bestehend aus Bettina Wagner-Bergelt, Susanne Traub und Katja Werner: Ludger Lamers, Stefan Dreher, Caroline Finn und Monica Gomis, allesamt Choreografinnen und Choreografen der Münchner freien Szene, wurden aus einer Gruppe von insgesamt 16 Bewerberinnen und Bewerbern eingeladen, John Cages „Sixteen Dances“ − ursprünglich eine Auftragsarbeit aus dem Jahr 1951 für Merce Cunningham für vier Tänzer − neu zu interpretieren.

Dieses Konzept prägt den Blick auf den nun zur Uraufführung gekommenen Abend im Theater schwere reiter, auch wenn man manchmal verzweifelt versuchte, sich von diesem Wissen abzulösen. Man spürte die Gefahr, dass hier ausgerechnet Künstlerinnen und Künstler der freien lokalen Szene nur mit einem spezifischen Auftrag empfangen wurden, während die anderen des Programms allein wegen ihrer freien, überzeugenden Arbeit zum Zuge gekommen waren. Begegnungen auf Augenhöhe werden anders organisiert.

Nervig in diesem Zusammenhang auch, dass im Vorfeld betont wurde, dass die Choreografen jeweils nur sechs Tage Zeit hatten, um ihren Part zu entwickeln – auch das eine Information, die man gerne aus dem Gedächtnis gestrichen hätte. Denn was damit anfangen? Ist das viel Zeit, ist das wenig Zeit, ist das überhaupt ein Maßstab? Wie also über diesen Abend schreiben? Vielleicht ist damit anzufangen, dass man Spaß daran hatte, zu sehen, wie die nacheinanderfolgenden Teile – jeder Künstler hatte vier Tänze zu choreografieren – einen diskreten Lauf von der Vergangenheit in die Gegenwart assoziieren ließen. Das Erscheinungsbild von Lamers choreografierten Tänzen – die Performer trugen tatsächlich Tennisoutfits im Stil der 1980er Jahre, weiße Pullunder mit Zopfmuster über dunkler kurzer Hose etwa oder kurze weiße Trägerkleidchen mit dunkelblauen Riemen – und die Objekte aus dem Bereich des Turnens – Keulen, ein Stab, ein Reifen – ließen Erinnerungen an die erste Zeit der Tanzmoderne aufblitzen. Ludgers Bewegungssprache verstärkte dies und ließ einen innerlich in die Rolle eines Fotografen schlüpfen: viele offene Bewegungen der Arme und Beine, wenige Spiralen, alles in gleichmäßig mittlerem Tempo, dazwischen auch mal in Slow Motion, der Fokus immer in den weiten Raum gerichtet, was Pathos induzierte.

Mit starkem Fokus auf der Musik hat im Anschluss Stefan Dreher gearbeitet. Schnell fiel auf, dass es jammerschade war, dass der Dirigent des live spielenden Orchesters Jakobsplatz München mit dem Rücken zu den Tänzerinnen und Tänzern stand. Damit hatten diese kaum eine Chance, die bereits im Raum stehende dichte Korrespondenz zwischen Tanz und Musik zu realisieren. Denn dass es Dreher darum gegangen sein muss, zeigte eines der letzten, herrlichen Bilder seines Parts: Wie die Performer langsam in den Orchesterraum im hinteren Bühnenbereich eindringen, sich dort aufhalten, wenig später wieder auf der Bühne in einer Reihe stehen und auf den einzelnen Ton hin Bewegungen weitergeben.

Spannend daraufhin, wie Caroline Finn mit ihren vier Cage-Tänzen umging. Hatten Lamers und Dreher sich auf einen Körper konzentriert, der vorrangig als Übermittler von Musik und Bewegung und strukturierendes Raumprinzip funktionierte, führte sie schlicht den expressiven, figurativen, durch kleine spezifische Gesten bedeutenden Körper ein. Ausgehend von den Eigenschaften, die den Zahlen 16 und vier zugeschrieben werden, untersuchte sie das Nebeneinander von Existenzweisen: jenen, die sich integrieren können und jenen, die sich von der Realität ablösen, diffundieren. Fast schmerzhaft hier anzusehen, wie Katrin Schafitel eine Figur schuf, die sich in Phobien verstrickt hatte, Manon Greiner jenen Typus zeigte, der somnambul in seinem eigenen inneren Universum schwebte und, kaum trat der Kontakt der harten Wirklichkeit ein, zum Spielball der Kräfte wurde, ohne ihnen etwas entgegensetzen zu können. Ulrike Etzold schließlich markierte jenen integrierten Typ, der, daher auch erfolgreich mit Robert Przbyl gepaart, die Struktur der ganzen Gruppe bestimmte.

Es war an Monica Gomis, das ganze, in sich insgesamt sehr offene, episodenhafte Stück leicht und ironisch ausplätschern zu lassen, leider fast oberflächlich. Gomis hatte sich und zwei anderen die Ohren verstopft und gemeinsam tänzelten sie ihr Ding, ohne auf die Musik Rücksicht zu nehmen, während Manon Greiner selbstvergessen eine Schnur um eine leere Umzugskiste band und immer wieder an ihr zog – eine Referenz an Cage, der wohl viele Jahre lang nur zwischen Umzugskarton gelebt habe. Naja.

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