Nijinsky-Gala zum Abschluss der 26. Hamburger Ballett-Tage

Hamburg, 15/07/2000

Er ging als fliegender Mensch in die Tanzgeschichte ein. Seinem Idol Vaslaw Nijinsky widmete John Neumeier schon vor 26 Jahren die Gala zum Abschluss der traditionellen Ballett-Tage an der Hamburger Staatsoper. Diesmal wurde sie zu einem Gipfeltreffen für alle Nijinsky-Freaks, Tanz-Freunde und -Fachleute. Zur Hommage an den vor 50 Jahren gestorbenen Erneuerer des Balletts. Das Royal Ballet London gastierte mit Rekonstruktionen der Nijinsky-Choreographien „L' Apres-midi d'un faune“ und des kaum mehr aufgeführten „Jeux“ – die eigentliche Sensation des fünfstündigen Tanzmarathons.

Das kurze „Tennis-Stück“ auf Debussys Tonskizze ist das erste Ballett in moderner Kleidung. Mit Sport hat das subtile Erotik-Match zwischen zwei Frauen und dem blonden Muskelprotz wenig zu tun. Er funkt in das lesbisch angehauchte Einverständnis der Damen, bricht deren narzisstische Selbstverliebtheit und initiiert im dämmrigen Gartengebüsch unschuldig eine freizügige Ménage à trois.

Wie ein Schmetterball muss die Uraufführung 1913 eingeschlagen haben. Wegen des Sujets – und des modern reduzierten Bewegungsmaterials mit der flexiblen Fußarbeit. Zudem ist Nijinsky eine psychologisch feinfühlige Studie sexueller Ambivalenz gelungen. „Jeux“ stellt den „Skandal-Faun“ im flächigen Friesstil, der ebenfalls in Leon Baksts Original-Dekor gezeigt wurde, an Brisanz spielend in den Schatten.

Wie sehr Nijinsky und „Jeux“ Avantgarde waren, verdeutlichte das Umfeld der Fokine-Stücke, die das Kirow-Ballett an zwei Abenden präsentierte. Nijinskys Rivale bricht den klassischen Ballett-Code vorsichtiger, war darin sein Wegbereiter, auch als Schöpfer vieler seiner Rollen – beispielsweise in „Le Spectre de la rose“. Der Walzer-Pas de deux war in zwei Interpretationen zu sehen. Beim Vergleich unterlag der eher effeminiert manierierte Kirow-Solist Igor Kolb der Raffinesse und Eleganz von Vladimir Malakhovs „Mann in Pink“.

Der „Nijinsky“ des 21. Jahrhunderts riss das Gala-Publikum ebenso in David Parsons' Solo „Caught“ zu Jubelstürmen hin. Gefangen in Lichtkegeln, befreite er sich im Dunkel und wurde, nur beleuchtet von Stroboskop-Blitzen zum „fliegenden Menschen“. Dank heutiger Präzisionstechnik und seiner fulminanten Sprungkraft löste Malakhov als „Fußgänger der Luft“ mit Peter Pans ironischem Schalk den Ruf seines legendären Vorgängers ein. Dessen Genie wurde wohl selten in einer so umfassenden Werkschau gehuldigt, wie sie der Hamburger Ballettchef und sein hervorragendes Ensemble in enormem Kraftakt auf die Beine gestellt hat.

Die Ausstellung von Neumeiers Privatsammlung, die Uraufführung seiner biographischen Tanz-Assoziationen zu „Nijinsky“, die Vergegenwärtigung von dessen Glanzrollen und bahnbrechenden Choreografien in Eigenkreationen wie Gastspielen rundeten sich zu einer Porträt-Impression, die zumindest Einzelaspekte, vielfältige Eindrücke und eine sinnlich lebendige Ahnung dessen vermittelte, was der moderne Tanz dem „Clown Gottes“ zu verdanken hat.

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