„La fille mal gardée"

Stuttgart, 12/05/2000

Die Stuttgarter Erstaufführung des heiteren Balletts „La fille mal gardée“ wurde ein großer Publikumserfolg. Vor allem wegen der hervorragenden Leistungen des Tänzernachwuchses in den Hauptrollen. Da muss man schon ein rechter Griesgram sein, um an dieser neuen Produktion des Stuttgarter Balletts nicht seine helle Freude zu haben. Frederick Ashtons Neufassung von Jean Daubervals abendfüllender „La fille mal gardée“ aus dem Jahre 1789, im Jahre 1960 in London uraufgeführt, ist jetzt endlich auch an den Neckar gekommen.

Die Einstudierung von Alexander Grant und Jane Elliot funkelt und strahlt mehr als zwei Stunden lang ohn‘ Unterlass, dem Publikum tun das Zwerchfell vom Lachen, die Wangenmuskeln vom Lächeln und die Hände vom Klatschen weh. So aufgeräumt und putzmunter hat es die Stuttgarter Tänzer schon lange nicht mehr erlebt. Ein riesiger Spaß für Jung und Alt, ein Tanzfest für Herz und Augen.

Zur Zeit ihrer Entstehung war die Story des Stücks geradezu revolutionär und ein Vorläufer der Frauenemanzipation: Das Bauernmädchen Lise durchkreuzt die Pläne seiner Mutter, schnappt sich den geliebten Colas, während der reiche Winzersohn Alain leer ausgeht. In der jungen Corpstänzerin Patricia Salgado hat Ballettdirektor Reid Anderson ein Juwel entdeckt. Ihre Lise ist ein entzückender Fratz, der mit seinem frechen Lächeln, das so viel verheißt, im Nu jedes Herz für sich entflammt. Ihr kapriziöses Spiel ist so natürlich, wie die Klöppelarbeit ihres Spitzentanzes makellos und von erlesenster Finesse, ihre Sprünge werden in der Tat von den Flügeln der Liebe getragen. Die ideale Lise.

Und Filip Barankiewicz (Colas), auch er Gruppentänzer, entgilt dieses Geschenk mit einem jungenhaften Charme und einer entwaffnenden Liebenswürdigkeit, die im schönsten Einklang mit seinem elektrisierenden Tanz stehen. Wenn sich der junge Mann in die Lüfte erhebt, dann sind das nicht nur atemberaubende Sprünge, wenn er dreht, dann sind das nicht einfach brillante Pirouetten – es ist als ob in diesen Augenblicken die Bühne heller würde. Gegen diesen Wunderknaben müssen die Bemühungen der Mutter Simone chancenlos bleiben, auch wenn sie von Ivan Cavallari mit urkomischer, tütteliger Beflissenheit ausgestattet wird, auch wenn ihr berühmter, knickebeiniger Holzschuhtanz zu den Höhepunkten des Abends gehört.

Thomas Lempertz als Alain, ein erotischer Rohrkrepierer gewaltigen Kalibers, steht seinen Kollegen in nichts nach. Seine fulminanten Krakelsprünge, sein tollpatschiges Liebeswerben, das sich schließlich wenigstens seines Regenschirms bemächtigt – fantastisch. Sie sind überhaupt alle fantastisch, Lior Lev als tumbstolzer Vater, der stets ein Pferd zwischen den Schenkeln zu haben scheint, der behände Gockel von Eric Gauthier, der papierene Notar des Ivan Gil Ortega. Und vor allem das Corps, das mit einem Esprit tanzt, einer mesmerisierenden Attacke, als bewerbe es sich um den nächsten Prix Benois. Man muss dieses köstliche Ballettsoufflé einfach lieben. Wegen der heiteren Leichtigkeit der entzückenden, immer neuen Einfälle, mit denen es vom großen Frederick Ashton garniert worden ist, wegen der hinreißenden Bilderbuch-Ausstattung von Osbert Lancaster (als Leihgabe des Bayerischen Staats- und des Kanadischen Nationalballetts) und wegen der beschwingten, luftigen Musik von Joseph Ferdinand Herold, die vom Staatsorchester unter Davor Krnjak wie ein klingendes Sahnehäubchen serviert wird. Ohne Einschränkung – ein großer Wurf.

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