„Songlines“

Das neue Stück von Robert Poole im Großen Haus des Landestheaters Linz

Linz, 17/10/1999

Was schon vor einigen Jahren für Choreographen begann, die vom Tanztheater inspiriert, von Pina Bausch, Susanne Linke oder Reinhild Hoffmann beeinflußt waren, das scheint sich jetzt für Künstler anzubahnen, die aus der „Frankfurter Schule“ kommen, also aus dem Umfeld von William Forsythe: Sie werden von tanzkundigen Intendanten an die Theater engagiert, um frischen Wind ins hauseigene Ballett zu bringen. In Freiburg wirbelt seit zwei Jahren Amanda Miller den Staub auf - freilich in einem prototypischen Kooperationsmodell, das ihrem „Ballett Freiburg Pretty Ugly“ finanzielle und künstlerische Freiheiten beläßt, die im Spartenbetrieb sonst nicht möglich sind (und zuletzt Joachim Schlömer in Basel veranlaßten, seinen Vertrag nicht zu verlängern).

Am Landestheater im österreichischen Linz ist nun in der zweiten Spielzeit der Brite Robert Poole Ballettchef. Vierzehn Jahre lang tanzte Robert Poole in international renommierten Kompanien - eben auch im Ballett Frankfurt -, unterrichtete und gründete 1993 sein eigenes Ensemble Robert Poole's Moving Words. Worte, Sprache, Text sind auch in seinem neuesten Stück „Songlines“ prominent vertreten. Ein Wanderer in kariertem Hemd, den alten Stoffrucksack über der Schulter, gibt den Bruce (Chatwin) und spricht Texte aus dessen „Traumpfaden“, jenem Buch über den Schöpfungsmythos der australischen Aborigines, in dem die Welt nicht an sich vorhanden ist, sondern erst ins Dasein gesungen wird. Irgendwann in der „Traumzeit“ wandelten die Ahnen über die Erde und benannten alles: „Zumindest theoretisch konnte ganz Australien wie eine Partitur gelesen werden. Es gab kaum einen Felsen oder einen Bach im Land, der nicht gesungen werden konnte oder gesungen worden war.“

Johannes Randolf als Bruce Chatwin verstrickt sich im Wahn des enthusiasmierten Forschers mehr und mehr in dieses System, trägt Informationen zusammen, bis er letztlich die Orientierung verliert - oder findet er die totale, indem er, nackt und ins Dunkle schreitend, seinen Weg geht ins „going back in“, wo Anfang und Ende, Ursprung und Ziel in eins fließen?

Die Erzählerfigur Bruce klammert den Abend, bringt ihn aber auch in die Gefahr des allzu Plakativen und Gegenständlichen, der Robert Poole in der Choreografie meist geschickt ausweicht. Eine Reihe von Soli, in denen die zehn Tänzerinnen und Tänzer ihr jeweils eigenes Totem tänzerisch benennen (besonders eindrucksvoll: Etsuko Akiya als Frosch), durchzieht das Stück, das dadurch den Charakter eines Konzerts erhält, in dem sich Einzel- und Solostimmen abwechseln. Die Musik von Jörg Seibold - Töne, Klänge, Worte, Rhythmen, verwoben in westliche und „Aborigines“-Instrumentierungen - markiert die Stimmungen, setzt unterschiedliche Akzente, die sich in den klassisch grundierten Bewegungen der Tänzer wiederfinden. In ineinanderperlenden Drehungen und Spiralen, in expressiven, typisierenden Gesten und repetitiven Mustern schreiben sie ihre „Traumpfade“ in den Boden.

Stimmig hat Poole Töne, Stimme und Bewegung miteinander zu einer meditativen Traumreise verschränkt, sich dabei auf wenige Requisiten - ein weißes Baumgerippe, ein hängendes mobiles Gebilde, auf das Bilder von Australien projiziert werden (Bühne: Michaela Mandel) - und einen knapp bemessenen, aber effektiven Bewegungsduktus konzentriert. Auf die Dauer von eineinhalb Stunden ist das bisweilen etwas schmalbrüstig, aber die Idee und wie sie in vielen Details umgesetzt ist, hat was: die Wege der Ahnen zu materialisieren, bevor diese wieder „in der eisigen Bewegungslosigkeit ewiger Zeiten“ erstarrt sind.

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