Alles auf Zukunft

Die Gala der Staatlichen Ballettschule Berlin

Berlin, 08/06/2012

Die Komische Oper in Berlin ist ausverkauft, die Stimmung ist gut, Aufregung und Spannung sind sicher auf der Bühne − auf jeden Fall bei den Besuchern, denn nicht wenige Eltern, Großeltern, Freunde und Kollegen sind gekommen um zu sehen, wie der Nachwuchs in die Zukunft tanzt. Vorweg bemerkt, es werden etliche zukunftsträchtige, hoffnungsvolle und immer wieder beglückende Momente an diesem Abend zu erleben sein.

Stimmungsvoll geht es los. „Kindermazurka“, Musik Michail Glinka, Choreografie Marius Petipa, auf der Bühne 16 Tänzerinnen und Tänzer des zweiten und dritten Ausbildungsjahres. Natürlich erliegt das Publikum diesem besonderen Charme. Die Besonderheit der Darbietung aber besteht darin, dass es dem Repetitor Stojan Kissiov offensichtlich gut gelungen ist, das Können dieser jungen Tänzerinnen und Tänzer mit deren Bewegungsfreude zu verbinden, jeden Anflug von ausgestelltem Technik-Drill zu vermeiden, was aber ganz und gar nicht bedeutet, hier breche nicht die übergreifende Freude über das Ergebnis eines harten Arbeitsweges so ansteckend durch.

Es folgt Michail Fokines „Chopiniana“ zu acht Klavierstücken von Frédéric Chopin, instrumentiert u.a. von Alexander Glasunow und vor allem Maurice Keller, uraufgeführt 1909 und eines der Schlüsselwerke auf dem Weg zum handlungslosen, weißen Ballett. Dieses zerbrechliche Werk um die Poesie des Tanzes für ein Solotanzpaar, zwei Demisolistinnen und dem Corps de ballet (nur Tänzerinnen), stellt hohe Ansprüche. Da sind bei den Tänzerinnen der Gruppe immer wieder synchrone Bewegungen, langes Verharren in Bildpositionen und dennoch darf der gesamte Fluss der Bewegung nicht durch Starrheit abgebrochen werden. Die jungen Tänzerinnen der Ausbildungsjahre sechs, sieben und acht müssen den Unterschied kennen zwischen Aufhören und Anhalten. Hochachtung vor dieser Gruppenleistung.

Die Solistinnen, der Solist, unterschiedliche Variationen des Miteinanders, von besonderer Bezauberung immer wieder die kurzen Passagen im Stile des Pas de trois, werden gewissermaßen durch eine Vielzahl auszudrückender Empfindungsmomente geführt, deren Charakter sich durch die jeweilige Musik definiert, Nucturne, Walzer, Prélude oder Mazurka. Man ist wahrhaft überrascht, wie es den einstudierenden Repetitoren, Marta Diminich, Heike Keller, Harry Müller und Henry Will, gelungen ist, zum einen technische Noblesse mit der besonderen Ausstrahlung so junger Tänzerinnen zu verbinden − ein Prozess, dessen beglückende Ergebnisse in den Tanz der Solistinnen aus dem achten und neunten Ausbildungsjahr einfließen. Lisa Breker, Absolventin 2011, jetzt schon engagiert beim Staatsballett Berlin fügt sich dazu gut in den Zusammenklang mit den Studentinnen Alisa Bartels, Patricia Klages und Sabina Abasova. Christopher Carduck, neuntes Ausbildungsjahr, der Solist (hier nicht in der Pose des romantischen Dichters, eher des jungen Mannes an der Schwelle zur Mannhaftigkeit), setzt gemeinsam mit dem ganzen Ensemble besondere, individuelle Akzente bei dieser „Huldigung an die Romantik“, wie Fokine sein Ballett verstanden wissen wollte.

„Troy Game“ von Robert North, der Renner der Berliner, immer wieder neu, immer wieder anders, weil immer wieder mit anderen Tänzern besetzt. Jetzt haben Olaf Höfer und Christoph Böhm den Dauerbrenner von 1974 mit Alexander Arnold, Indra Stark, Matheus Vaz Guimares aus dem fünften, Enno Kleinehanding aus dem sechsten, Marten Baum aus dem siebten, Ronan dos Santos Clemente, Alejandro Guindo Martin und Emanuele Vignoli, aus dem achten, sowie Christopher Carduck, aus dem neunten Ausbildungsjahr besetzt. Tolle Truppe. Natürlich macht es immer wieder mächtig Freude den Späßen dieser Jungmachos zuzusehen. Capoeira, Akido und vor allem Assoziationen zum Bodybuilding, Momente der Folklore und immer wieder kämpferischer Anmut, dazu Humor und Ironie bei dieser – von den Kostümen assoziierten – gänzlich unblutigen Revue der Gladiatoren. Artistik und tänzerische Technik gehen ineinander über, im Ergebnis toben dann wunderbare Tanzclowns mit Sprungfedern über die Bühne und bringen die Stimmung im Saal zum Kochen.

Und dann ein Finale, wie man es sich bei einer solchen Veranstaltung nicht besser wünschen kann. „Die Zukunft beginnt jetzt“, da heißt es zunächst für eine der jüngsten Tänzerinnen dieses Abends, mit ersten Übungen, mit dem Dehnen und Strecken und ersten rhythmischen Verbindungen, zu beginnen. Ob an der Stange, wie im Ballettsaal, ob frei im Raum, allein, mit Partnern, in unterschiedlichen Variationen: alles ist dabei, Pirouetten mit dem Reichtum möglicher Facetten bis zur Grand foutté, gewagte Sprünge, Hebungen und die ganze Kraft der Symmetrie. Ravels „Bolero“ heizt die Stimmung an, fordert die Dynamik dieser Choreografie einer enormen Steigerung von Larisa Dobrozahn bei künstlerischer Gesamtleitung von Gregor Seiffert. Und die Idee überzeugt. Die jüngsten Tänzerinnen beginnen in weißen Kostümen, die jüngsten Tänzer in hellblau, sie werden abgelöst von den nächstälteren in pink-rot und blau, und geben die Stafetten weiter an die „Großen“ in bordeaux-roten Kleidern und dunkelblauen Trikots. Dann mischen sich die Farben und die Kombinationen, man hat den Eindruck, hier rase das Tempo, allein es ist das Zusammenspiel der musikalischen Dynamik aus Klagfarben und der tänzerischen Dynamik plus mächtigem Überschuss an purer Lebensfreude. Und schon hat die Zukunft begonnen.

 

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