Faszinierender Tänzer, faszinierendes Buch

Petra van Cronenburgs „Faszination Nijinsky. Annäherung an einen Mythos“

Hamburg, 06/04/2012

/img/redaktion/Cover_Nijinsky_kleiner.jpg Heutzutage ein Buch über den Tanz oder eine besondere Persönlichkeit aus der Welt des Tanzes zu publizieren, ist ein Wagnis – bleibt es doch ein Nischenprodukt, mit dem sich kaum Geld verdienen lässt. So steckt in jedem dieser Bücher eine ganz große Portion Idealismus, Fleiß, persönliches Engagement, Leidenschaft, Freude am Schreiben. Das zeigt einmal mehr das kleine, aber höchst feine Buch von Petra van Cronenburg, das voriges Jahr in der Edition Octopus erschienen ist: „Faszination Nijinsky. Annäherung an einen Mythos“.

Jeder, der sich mit dem großen Tänzer und Choreografen näher befassen möchte, sollte es lesen – es ist nicht nur eine exzellente Lektüre, sondern vor allem auch sprachlich ein Hochgenuss – und das lässt sich nicht von vielen solchen biographischen Erzählungen sagen. Die Entstehungsgeschichte des Buches passt zu den abenteuerlichen Wegen, die auch die Ballets Russes und Nijinsky gegangen sind. Fast ein Jahr lang hat die Autorin an Recherche und Manuskript gearbeitet. Für andere Aufträge blieb da nur wenig Zeit. Und dann die Katastrophe: alles war gerade fertig geworden, da ging der Verlag, in dem das Buch erscheinen sollte, pleite. Aus die Maus. Ein anderer ließ sich nicht finden. Aber freie Autorinnen können zäh sein. Entschlossen. Mutig. Vor allem, wenn es um ein solches „Baby“ geht. Petra van Cronenburg nahm die „Geburt“ dann kurzerhand selbst in die Hand. Sie beauftragte einen Grafiker für das Cover, beschaffte Fotos für die Illustration, setzte den Text.

Die Self Publishing-Abteilung eines Münsteraner Verlages druckte in Print-on-Demand-Technik und liefert das Buch seit Herbst 2011 an den Buchhandel aus. Alle Mühen und Anstrengungen haben sich gelohnt – mittlerweile hält sogar amazon das Buch vor (was nur geschieht, wenn eine nennenswerte Anzahl davon bestellt wird). Zu Recht. Das Besondere an diesem Buch ist, wie Petra van Cronenburg sowohl die künstlerische wie die menschliche Seite Nijinskys nahebringt, auf ganz unprätentiöse, einfühlsame Art, vor allem aber immer darauf bedacht, der vielschichtigen Persönlichkeit Nijinskys im Rahmen seiner Zeit gerecht zu werden. Da ist viel Neugier spürbar, aber auch großer Respekt, Zuneigung und Zurückhaltung, Bewunderung und Skepsis. Auf diese Weise holt sie auch diejenigen unter ihren Lesern ab, die mit Nijinsky bisher vielleicht nicht so viel anfangen konnten. Sie macht ihn und sein Leben, seine Kunst, verstehbar, nachvollziehbar. Nijinskys Biographie gliedert sich im Buch in drei Teile: Leben, Tanz, Kunst – immer im Kontext dessen, was sich gesellschaftlich, politisch und kulturell abspielte.

Petra van Cronenburg beschreibt, vor welchem Hintergrund sich Nijinskys Talent entfalten konnte, wie schwer er es aber auch hatte im Russland des beginnenden 20. Jahrhunderts. Welche Offenbarung dann Paris bedeutete, die Bohème, die Auf- und Umbruchstimmung. Weg mit dem Mief der Vergangenheit – her mit der Moderne. Mit Picasso, Strawinsky, Chanel, Cocteau, Thomas Mann und vielen anderen. Was uns heute selbstverständlich geworden ist, hat hier seinen Ursprung, ganz besonders der moderne Tanz, für den die Ballets Russes mit ihren wagemutigen Inszenierungen, mit Nijinskys revolutionären Choreographien, bahnbrechend waren. Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dass sie nie der Versuchung erliegt, Nijinsky zu verklären oder ihm einen Heiligenschein aufzusetzen. Vielmehr bleibt sie dicht an dem, was sich heute über ihn an Informationen und Zitaten auftreiben lässt. Dabei stöbert sie eigenartige Parallelen auf, die das Leben Nijinskys begleiteten. Zum Beispiel die, dass seine große Liebe Diaghilew ausgerechnet an einem Mangel an Insulin – Diabetes – starb, Nijjinsky selbst jedoch Ende der 1930er Jahre 228mal (!) mit mehr als fragwürdigen Insulin-Schocks gegen seine angebliche Schizophrenie traktiert wurde – mit den entsprechenden körperlichen und seelischen Folgen (in Wahrheit litt Nijinsky wohl eher an dem, was man heute als bipolare oder manisch-depressive Störung bezeichnet). Oder die, dass Diaghilew, der panische Angst vor dem Wasser hatte, Nijinsky zwar auf dem Wasser als Geliebten verliert (bekanntlich heiratete er bei einer Überfahrt von Europa nach Argentinien), aber dann ausgerechnet in der Stadt stirbt, die dem Wasser am nächsten ist: Venedig. Und es gibt noch manche solcher interessanten Assoziationen mehr.

Am berührendsten liest sich diese Biographie, wenn sich Petra van Cronenburg ganz dicht an die Seele Nijinskys herantastet. Wenn sie ihm nachspürt im Tanz, auf der Bühne, im Ballettsaal, oder in der Malerei. Wenn sie die Tragik seiner Erkrankung beschreibt, das Unverständnis, das seine Umgebung ihm entgegenbringt. Es bricht einem schier das Herz, wenn die Autorin ihre Leser nachempfinden lässt, was dieser hochsensible Mensch gelitten und ausgestanden haben mag, im Erleben der beiden Weltkriege, im Ausgeliefertsein an inkompetente Ärzte, an seine Frau, an eine Welt, die sein Genie noch kaum verstanden hat und in der seine Kunst kaum atmen konnte. Vor allem aber findet Petra van Cronenburg für all diese Geschehnisse und Beschreibungen eine wunderbare, fast tänzerische Sprache. Sie nimmt jeden mit auf die Reise in dieses tragische Leben, auch alle diejenigen, die weder mit Ballett noch mit Tänzerpersönlichkeiten bisher viel am Hut hatten. Ihr Buch weckt das Bedürfnis nach mehr – sie macht neugierig auf den Tanz generell, vor allem aber auf den Tanz von heute, in dem so viele Nijinsky-Spuren erkennbar sind. Nicht zuletzt deshalb sind die Gespräche mit Ralf Rossa und Dr. Michael Braunsteiner am Schluss des Buches eine gute Ergänzung.

Rossa ist seit 1998 Ballettdirektor, Chefchoreograf und Regisseur an der Oper in Halle und hat Nijinsky mit seinem Stück „Nijinsky – ein Star des russischen Balletts“ ein Denkmal gesetzt. Braunsteiner ist Kurator des Stiftes Admont in Österreich, freier Autor und Berater. Er holte die Sammlung Prinzhorn aus Heidelberg nach Österreich, 5000 Malereien von fast 450 sogenannten „Geisteskranken“, zu denen auch Nijinsky gerechnet wurde. Um das ganze abzurunden, hätte ich mir noch ein Gespräch mit John Neumeier gewünscht, der wie kein Zweiter Nijinskys Leben kennt, zwei grandiose Werke über ihn geschaffen hat („Nijinsky“ und „Le Pavillon d’Armide“, beides Signaturwerke des Hamburg Ballett), und dessen Sammlung auf einzigartige Weise alles umfasst, was Nijinsky an Spuren hinterlassen hat. Dass es ein solches Interview nun nicht enthält, schmälert den Wert dieses Buches jedoch in keiner Weise.

Petra van Cronenburg:Faszination Nijinsky. Annäherung an einen Mythos . Edition Octopus im Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG, Münster, 15,50 Euro

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