Tanzglück in Magdeburg

Tanzbegegnungen im Schauspielhaus begeistern das Publikum

Magdeburg, 25/03/2012

Gerade noch in der Hauptstadt gefeiert, Horst Koeglers 85. Geburtstag, dazu klassische Kostproben vom begabten Nachwuchs der Staatlichen Ballettschule Berlin, geht es am nächsten Tag nach Magdeburg. Hier hält Ballettdirektor Gonzalo Galguera die klassischen Tugenden in Ehren, hat aber mit der Reihe „Tanzbegegnungen“ ein Format geschaffen, das es möglich macht, einmal die klassischen Formen auf ihre zeitgemäße Gültigkeit im Kontext neuerer Choreografien zu prüfen und zum anderen den bewegten Dialog zu führen mit Choreografien, die sich neueren Richtungen des Tanzes verpflichtet fühlen, ohne jedoch die notwendigen Grundlagen technischer Ansprüche zu leugnen.

„Tanzbegegnungen“ heißt die Reihe im Magdeburger Schauspielhaus, die zweite Vorstellung der neuesten Ausgabe ist ausverkauft und auch für die folgenden Aufführungen sind die Karten schon sehr knapp. Die Stimmung ist gut, das Publikum liebt ganz offensichtlich das Ballett, hat Tänzerinnen und Tänzer ins Herz geschlossen und so gibt es Beifall wie man ihn sich anderenorts manchmal wenigstens an Premierenabenden wünschen würde.

Für „Dancing in the City“ – so der Titel des neuen Abends hat Gonzalo Galguera den in Leipzig lebenden Choreografen Paul Julius eingeladen mit der Magdeburger Kompanie eine Uraufführung zu kreieren. Der Chef selbst steuert mit vier Teilen Auszüge seiner Dessauer Kreation „Ausnahmezustand“ bei, die neue Arbeit von Paul Julius heißt „Fragments“, beide widmen sich auf assoziative, poetische Weise dem weiten Feld menschlicher Beziehungen. Bezieht sich Julius in seinen Varianten auf einen städtischen Kontext, der musikalisch grundiert ist, szenisch angedeutet wird, so ließ sich Gonzalo Galguera von philosophischen Texten der Spanierin María Zambrano anregen, in denen sie etwas von ihrem Wissen über die Seele mitteilt.

Beseelt, wenn auch auf unterschiedliche Art, sind beide Arbeiten, an Poesie mangelt es ebenfalls nicht, die tänzerischen Herausforderungen haben es in sich. Galguera wählt Musik von John Adams, Philip Glass und Arvo Pärt. Besonders zur Sonate für Violoncello und Klavier von Pärt gelingt in der Szene „So nah“ eine Verschmelzung zweier Paare, die parallel je einen besonders innig gestalteten Pas de deux tanzen, aber immer abwechselnd im Lichtkreis erscheinen. Höchste Konzentration im Saal, athletische Körperpoesie auf der Bühne, stürmischer Applaus für Andreas Loos, Veronika Zemlyakova, Pavel Kuzmin und Acosta Cruz . Ansonsten, vor schwarzem Hintergrund, bei dem ein Spalt mit Himmelslicht Weite und Sehnsucht suggeriert, die große Gruppe in verschiedenen Konstellationen, streng klassisch grundiert, exakter Spitzentanz der Damen, dem Raum geschuldete gezügelte Vehemenz der Herren.

Zeigen hier die Tänzerinnen und Tänzer welches Potenzial in der immer wieder neuen Zuordnung klassischer Elemente verborgen ist, so lässt sie Paul Julius fast durchgängig von der Spitze auf die Sohle kommen, ja er führt sogar immer wieder Passagen ein, die so etwas wie neutrale Haltungen der Körper fordern, den Tänzer „aus der Rolle“ treten lassen, um gehend den Raum zu erkunden und denselben neu zu betreten um in einer neuen Folge von Varianten Facetten der Beziehungen zu erkunden.

Dazu wählt er Musik, die stark atmosphärisch wie ein Sound, gemischt mit Geräuschen einer Stadt, die Szenen untermalt und Rhythmen eher indirekt vorgibt, so dass der Eindruck entsteht, die Tänzerinnen und Tänzer folgten individuellen Klängen ihrer Gefühle oder temporären Wahrnehmungen. Szenisch entsprechen dem einige starke Bilder, die Menschen wie Silhouetten im Gegenlicht vor himmelsblauem Hintergrund erscheinen lassen. Daseinsformen von Paaren bestimmen den Tanz, dabei kann keine der Varianten für sich in Anspruch nehmen die einzig gültige zu sein, die Vision wäre der Zusammenklang, der Ausgleich von Individualität und Harmonie in der Beziehung, was aber bewusst als Ideal gezeigt wird, bei einem Paar nur, welches auch am stärksten dem klassischen Kanon verpflichtet ist. Gemäß dem Titel „Fragments“ spielt Julius in kurzen Pas de deux unterschiedliche Beziehungsformen durch und baut die stärkste Spannung da auf, wo Trieb und Aggression in die Momente größter Nähe führen. Jake Burden und Frieda Mennen können das mit bestechender körperlicher Präsenz vermitteln. Von besonderer Intensität sind die Soli von Emma Hanley Jones mit ihren gänzlich unaufgeregten einsamen Szenen, die dann sogar in eine Variante schmerzhaft empfundener Einsamkeit führen, gänzlich in der Stille, ohne Musik, ohne Sound, der Atem nur ist es, der diese berührende Szene besingt. Verlust, Tod und Versagen werden nicht ausgespart, ein dunkles Stück allein aber ist es nicht, es bleibt die Kraft der menschlichen Empfindung, eine Hälfte zu sein, und die andere zu suchen. Ein solches Thema kann der Tanz umspielen, das Publikum in Magdeburg spielt sehr gern mit und bejubelt den ganzen Abend bis der eiserne Vorhang fällt.

 

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