Vom „Film Noir“ inspiriert

„Série Noire“ von Terence Kohler

München, 24/06/2010

Handlungsballett ist ja fast stereotyp gleich Liebesgeschichte. Warum nicht auch einmal ein Ballett als Krimi entwerfen? Damit müssten auch Ballett-Muffel anzusprechen sein. In diesem Sinn hat der Australier Terence Kohler in neunmonatiger „Residenz“ beim Bayerischen Staatsballett das abendfüllende „Série Noire“ choreografiert, das jetzt im Münchner Prinzregententheater uraufgeführt wurde. Der von Karlsruhes Ballettchefin Birgit Keil (sie gehörte zu den Stars der illustren Stuttgarter John-Cranko-Ära) geförderte Kohler hatte sich 2008 mit seinem Münchner Ballettwochen-Beitrag „Once upon an ever after“ auch hierorts als Hoffnungsträger eingeführt. Man war also gespannt.

Gleich zu Beginn sehen wir auf erhöhter Leinwand einen Pas de deux aus einer Aufführung der Pariser Oper aus den 1920er Jahren. Nach kurzer Zeit krampft und würgt die rehschlanke schöne Tänzerin (Staatsballett-Elitesolistin Lucia Lacarra) – und bricht tot zusammen. Kein gutes Omen für das aktuelle Ensemble, das gerade dieses Werk probt. Schon stürzt eine Scheinwerfer-Schiene herunter. Der einstudierende Choreograf ist auch sichtlich nervös, macht die Schritte ziemlich hektisch vor. Die Tänzer in Trainingsoutfits markieren zwar emsig die vorgegebenen Bewegungen – insgesamt jedoch wuselt es recht durcheinander. Die erste Solistin kriegt gar nichts auf die Reihe, verpatzt eine Hebung. Und macht eine Riesenszene, als sie durch eine Jüngere ersetzt wird – die dann jedoch plötzlich zu Tode kommt. Genau wie die im Film gesehene französische Kollegin und davor schon eine Ballerina im zaristischen Russland! Fluch, Schicksal oder vielleicht Mord?

Kohler hat sich vom „Film Noir“ inspirieren lassen, von den Hell-Dunkel-Lichtkontrasten bis zum beharrlichen Privatdetektiv. Lösen wird der Mann im zünftigen Trenchcoat die Fälle nicht. Und bei Kohlers vielfältiger Spurenlegung bleibt der Zuschauer auf all seinen Fragen sitzen. Die Krimi-Form erlaubt Terence Kohler vor allem einen Blick in die von Rollenneid und Intrigen nicht freien Ballett-Kulissen. Erlaubt auch die Freiheit, in den Zeitebenen hin und herzuspringen – chronologisches Erzählen gilt bei zeitgenössischen Choreografen als veraltet. Und zugleich kann Kohler so den Stilwandel der Ballettsprache skizzieren: Historisch blumige, laszive Ports de bras für die russische Ballerina (Mia Rudic; sieht aus wie die junge Konstanze Vernon), die dem Zaren entgegenschmachtet; elegante Neoklassik für die Französin und postmoderne akrobatisch verschrägte Neoklassik für das gerade probende Ensemble, sprich das lässig-exzellente Staatsballett von 2010, in jeweils exquisiten halb transparenten hautengen oder weit schwingenden Kostümen des Katalanen Jordi Roig. Phänomenal schön – und auch so getanzt – die Pas de deux für die drei Ballerinen und ihre Partner. Eine Entdeckung dabei die zierliche Russin Ekaterina Petina, Neuzugang in dieser Spielzeit, in wunderbar dynamischer Harmonie mit Tigran Mikayelyan.

Für den Outsider, den Detektiv, erfand Kohler ganz unklassische Bewegungen. Und wenn durchgehend intelligent ausgesuchte, weniger bekannte Musiken von Philip Glass (Ausschnitte aus „The Secret Agent“, „Dracula“, „Akhnaten“, Symphony Nr. 3, 4 und 8) das Tanzgeschehen vorantreiben oder auch dramatisch überhöhen, dann fegt Detektiv Alen Bottaini (der langjährige brillante Erste Solist verabschiedet sich mit dieser Rolle vom Staatsballett) virtuos neo-expressionistisch über die Bühne zu der derb, leider auch schmerzhaft lautverstärkt reinhauenden Komposition für Piano und Tonband von Pierre Jodlowski.

Kohler hat da sorgfältig und mit viel Bewegungsfantasie choreografiert. Und ganz geschickt auch, wie er das detektivische Kombinieren auf der Bühne sichtbar macht: die toten Ballerinen kommen zurück, und der Wahrheitssucher schiebt mögliche Verdächtige zu je anderen Figurenkonstellationen hin und her. Auch die filmische Rückblende-Technik ist zum guten Teil gelungen. Dennoch ist diese Story dramaturgisch wie auch mit viel Gestikulieren und Alltags-Pantomime sehr konventionell, um nicht zu sagen allzu brav erzählt. Und zwischen Zaren-Gunst und Affären der Ballettchefs mit ihren Stars auch zu kolportagehaft aufgezogen.

Eine Choreografie übers Handwerk hinaus zum Kunstwerk zu gestalten, wäre dann für Terence Kohler der nächste Schritt. Mit seinen 26 steht er ja erst am Anfang.

noch 25. Juni, 19 Uhr 30. Weitere Vorstellungen im September. Karten 089/2185 1920 www.bayerisches.staatsballett.de

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