Wir alle sind Eszter Salamon

Die ungarische Choreografin zeigt „And Then” bei Tanz im August

Berlin, 29/08/2007

Was steckt in einem Namen? Getrieben von dieser Frage begab sich die ungarische Choreografin und Performancekünstlerin Eszter Salamon mehrere Monate lang auf die Suche nach Namenvetterinnen in der ganzen Welt. Sie besuchte einige von ihnen in Ungarn, Israel, den USA, England, Frankreich und Deutschland, führte Interviews und überredete schließlich drei der Frauen, an der Entwicklung ihres neuen Stücks teilzunehmen. Zusammen mit der serbischen Performancetheoretikerin Bojana Cvejic fand Salamon eine dramaturgische Präsentationsform für die gesammelten Lebensfragmente, die außer dem gemeinsamen Namen ihrer Protagonistinnen nichts gemeinsam haben.

Heraus kam dabei „And Then”, ein Zwitterwesen aus stark theatralisch geformtem Dokumentarfilm, Konzert, Tanzstück und dem realen Zusammensein einer Gruppe Frauen, die für einen Abend lang ihre Lebensgeschichten teilen. Wie der Titel bereits andeutet, geht es der Konzeptkünstlerin und Choreografin nicht um die Erzeugung eines großen Sinnzusammenhangs, sondern ganz bewusst um dessen Vermeidung durch die bloße Addierung subjektiver Realitäten.

Sechs Frauen sind in „And Then” auf Bühne und Leinwand zu sehen. Vier von ihnen tragen den Namen Eszter Salamon. Unterstützt von Bojana Cvejic und der Tänzerin Aude Lachaise teilen sie die Interviewtexte untereinander auf, führen Dialoge miteinander, singen und tanzen gemeinsam in einer Art surrealem Salon, dessen wenige Möbelstücke per Videoeinspielung erscheinen.

Selbstverständlich ist „And Then” keine simple Präsentation gelebten Lebens. Trickreich stellt die Choreografin die Frage nach den Grenzen von Realität und Fiktion, wenn sie Eszter Salamon, die britische Unternehmensberaterin und Eszter Salamon, die ungarische Filmemacherin zu Filmcharakteren macht, die von der Leinwand herab noch einmal die Worte ihrer authentischen Interviews wiederholen. Gleichzeitig ist keine der auf der Bühne anwesenden Akteurinnen immer in Fleisch und Blut präsent. Jede von ihnen erscheint stets auch als Filmprojektion – was den Aspekt des Künstlichen und „Gemachten” noch verstärkt. Eszter Salamon (die Choreografin) lässt keinen Zweifel daran, dass sie auch mit der Aufführungssituation virtuos zu spielen versteht. Mehrmals erscheint die Projektion eines schwingenden Vorhangs auf dem Videoschirm – wie um zu demonstrieren, dass es sich bei dem Gezeigten um Theater handelt, und eben nicht um das Leben selbst.

Erstaunlicherweise entwickelt sich „And Then” trotz aller spürbarer Reflexion zu einem wunderbar träumerisch-melancholischen Abend. Oft scheint es, als sei hier einfach eine Gruppe von Frauen zusammengekommen, um in einer geschützten Atmosphäre über Liebe und Leid und die Schwierigkeiten beim Heranwachsen und Älterwerden zu sprechen. Die Geschichte der Jugendlichen, die den Untergang des Ceaucescu-Regimes in Rumänien erlebt, die der jüdischen Immigrantin in den USA und die der tragikomischen Ehekrise im Ungarn nach der Wende – sie alle sind es wert, erzählt und gehört zu werden. Gemeinsam mit ihren Namensvetterinnen blättert Eszter Salamon in vergangenen Erinnerungen wie in einem vergilbten Familienalbum der Geschichte. Nur ein einziges Mal ist die Stimme einer Person zu hören, die nicht Eszter Salamon heißt: Als die über 80jährige Hanna Birnfeld vom Sterben ihrer Freundin Eszter in einem deutschen Konzentrationslager erzählt, verlischt das Licht im Saal – und die mörderische Dunkelheit scheint brutal auch all die anderen gelebten Leben zu verschlucken.

Mit „And Then” ist der Choreografin etwas geglückt, was bei Tanz im August weder Michael Laub mit seinen voyeuristischen Tänzerportraits, noch Jean-Claude Gallotta in seinen gutgemeinten Tanztheaterskizzen gelungen ist: Einen Eindruck von der bittersüßen Schönheit und den absurden Wendungen des Lebens zu vermitteln, ohne dabei gesellschaftspolitische Realitäten auszublenden.

Wenn in der letzten Szene alle Akteurinnen gemeinsam die Geschichte vom fast tödlichen Badeunfall der Tänzerin Eszter Salamon erzählen, bekommt das Geschehen eine Universalität, die den Zuschauer dazu drängt, sich zu fragen, ob er oder sie nicht auch ein bisschen Eszter Salamon ist.

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