Komplexe Gespräche unter Freunden

„Quiet dance” und „Speaking dance” von Jonathan Burrows und Matteo Fargion bei Tanz im August

Berlin, 27/08/2007

Im Jahr 2001 schufen der britische Choreograf Jonathan Burrows und der in Mailand geborene Komponist Matteo Fargion ein Stück, das in seiner unspektakulären Art zum Welterfolg wurde. „Both sitting duett” hieß das Kleinod, bei dem die beiden Männer mittleren Alters bequem auf zwei Stühlen sitzend aus Alltagsgesten, Blicken und sparsamen Geräuschen eine komplexe Komposition entwickelten, die zugleich ein Dokument ihrer jahrelangen Freundschaft war. Nach Gastspielen in über 15 Ländern und einer Auszeichnung mit dem renommierten New Yorker Bessie-Award machten sich die beiden zurückhaltenden Herren erneut an die Arbeit und kreierten zwei Folgewerke, die nun bei Tanz im August hintereinander zu sehen waren.

„The quiet dance” und „Speaking dance” verbergen hinter dem entspannten Dialog zweier Freunde eine Fragestellung, die der von Xavier Le Roys „Sacre du printemps”, das vor wenigen Tagen beim selben Festival gezeigt wurde, nicht unähnlich ist: Welche Wechselwirkung herrscht zwischen Klang und Bewegung – und nach welchen Gesetzen entwickelt sich eine Choreografie? In „Quiet dance” arbeiten die beiden Künstler erstmals mit dem Raum. Als kämen ein Choreograf und sein Komponist zusammen, um den groben Grundriss ihrer Zusammenarbeit zu skizzieren, durchmessen sie die Bühne mit langsamen Schritten – mal gerade, mal spiralförmig oder humpelnd verdreht und begleiten die Aktionen des anderen durch simple Geräusche. Zunächst stößt Fargion immer wieder einen wimmernden, stetig abfallenden Ton aus, um Burrows zur Bewegung zu animieren. Nachdem so einige Male dieselbe Sequenz durchgespielt ist, kehrt sich das Verfahren um, und der Brite initiiert die Gänge seines Kollegen durch ein langanhaltendes Zischen. Diese einfache Struktur verschiebt sich immer mehr, bis das Verhältnis zwischen Ursache und Effekt vollkommen unkenntlich geworden ist. Geräusche mischen sich mit Bewegungen – und auch der Boden wird miteinbezogen, wenn Fargion immer wieder in Zeitlupe zur Erde fällt. Zunehmend werden die Abläufe komplexer, und Burrows beginnt komplizierte Armverschlingungen einzubauen, die von seinem Gegenüber spielerisch aufgenommen werden.

Durch das ständige Spiegeln und Wiederaufnehmen von Motiven entsteht ein musikalisches Spiel der Echos und Variationen. Trotz der diffizilen Partitur, der die beiden Akteure augenscheinlich folgen, wirkt das Geschehen niemals trocken oder theoretisierend. Mit stoischer Ruhe und Understatement zelebrieren Burrows und Fargion ihre Begegnung wie zwei alternde Slapstickkünstler, zwei weise Clowns der Bewegung, denen der Spaß an der Bewegung in den verschmitzten Gesichtern geschrieben steht. Für den Zuschauer macht dies den Umgang mit dem choreografischen Rätsel leichter verdaulich, doch keineswegs leichter verständlich. Denn obwohl hier alle Zutaten des fertigen Stückes sichtbar ausgebreitet sind, bleibt es auch bei höchster Konzentration unmöglich, den Aufbau der Strukturen lückenlos nachzuvollziehen.

„Speaking dance” ist da auf den ersten Blick leichter konsumierbar. Wie in „Both sitting duet” haben es sich die beiden Akteure wieder auf Stühlen bequem gemacht. Auch hier scheint es vordergründig um die Besprechung einer gerade entstehenden Produktion zu gehen – allerdings in einer Art und Weise, an der der Wiener Sprachpoet Ernst Jandl seine helle Freude gehabt hätte. Bewegungsanzeigende Adjektive wie „left – right” werden von den beiden dialogisch in den Raum gerufen, bis sich daraus ein Ping-Pong-Spiel ergibt, in dem die Bedeutung der Begriffe völlig unterzugehen droht. Immer wieder steht Burrows unvermittelt auf und bewegt sich mit spartanischen Gesten – stets bemüht, seine technische Bravour als ehemaliger Solist des Royal Ballett vergessen zu machen -, während Fargion dazu italienische Volkslieder singt. Obwohl das Hauptmedium des Stückes eine lautmalerisch rhythmisierte Sprache ist, zaubern die beiden mehrmals Musikinstrumente hervor und bauen auf Mundharmonika und Melodika einfache Klangfolgen in den stetigen Fluss der Laute ein.

In ihrer Komplexität können sich beide Stücke mühelos mit den vertrackten Bewegungskompositionen eines William Forsythe messen. Bemüht langsam und jede vordergründige Virtuosität vermeidend erzeugen der Tänzer, der nicht tanzen will, und der Komponist, der sich scheinbar der Komposition verweigert, fragile Organismen aus Tönen und Bewegung, die stets in unvorhergesehene Richtungen weiter wuchern.

Bei aller Frustration über die Undurchschaubarkeit der scheinbar so einfachen Abläufe, teilt sich dem Zuschauer vor allem die tiefe Verbundenheit der beiden Akteure mit. Vermutlich ist dies das Erfolgsrezept der Stücke von Jonathan Burrows und Matteo Fargion: Dass man trotz aller konzeptuellen Fragestellungen immer wieder das Gefühl hat, einem intimen Gespräch unter alten Freunden beizuwohnen, die sich über das Staunen der Zuschauer freuen wie zwei kleine Kinder.

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